Als Mutter ist man ständig unter Beobachtung, kritischer Feindbeobachtung sozusagen: Von anderen Müttern, Kinderärzten, Erziehern, den eigenen Eltern, den Schwiegereltern. Und damit nicht genug, zur Krönung muss man sich ja auch noch permanent vor sich selbst rechtfertigen, warum man dann doch viel häufiger als gedacht alle Prinzipien über Bord wirft.
Bevor ich Mutter geworden bin, hatte ich viele, sehr klare Ansichten zum Thema Kindererziehung: Stillen mindestens sechs Monate lang (also, MINDESTENS!), Süßigkeiten erst ab zwei, Fernsehen bestimmt nicht vor vier (wegen der Kreativität, die man ja sonst so einschränkt), nur Bio-Essen (man will ja keine Allergien provozieren) und vor allem alles selbst gekocht. Es herrschen klare Regeln zu Hause: um 20 Uhr wird geschlafen, Essen nur am Tisch usw.. Und diese Regeln werden vor allem ohne Bestechung durchgezogen. Keine Wenn-Dann-Sätze, das ist so erpresserisch.
Kurz zusammen gefasst: Ich hatte keinen blassen Schimmer wovon ich sprach.
Nachdem ich Sam viereinhalb Monate gestillt hatte, war ich am Rande des Wahnsinns. Er trank solche Unmengen und ich kam mir vor wie eine auslaufende Milchkuh. Ich war am Ende, ich schielte jedem Gin-Tonic hinterher, ich wollte meinen Busen wieder für mich allein. Ich stillte ab.
Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, bekam er danach nur Milchpulver auf Ziegenmilch-Basis. Mein Hebamme und mein Kinderarzt hatten mir dazu geraten. Von der Zusammensetzung ist es wohl der Muttermilch am ähnlichsten. Gott sei Dank! Ich erzählte es jedem, der es hören wollte oder auch nicht. Nur um mein schlechtes Mutter-Gewissen zu beruhigen und um vor der Welt (und vor allem mir) zu rechtfertigen, dass ich es gewagt hatte abzustillen. Überall witterte ich Missbilligung, dass ich keine sechs Monate durchgehalten hatte. Auch die Kassiererin bei REWE sah mich komisch an.
Mit dem Selber-Brei-kochen war das auch so eine Sache. Ich habe es probiert. Wirklich! Aber nachdem der Kürbis mir dreimal angebrannt ist, habe ich gedacht: Bin ich denn bescheuert? Wozu gibt es denn Gläschen? Ich kapitulierte und ging zu dm. Das ist zum Glück in den meisten Teilen Berlins gesellschaftlich akzeptiert. Im Prenzlauer Berg hätte ich allerdings nicht damit geprahlt, dass ich jetzt Gläschen statt Selbstgekochtes füttere. Für alle Nichtberliner: Prenzlauer Berg ist wie die Aufsichtsbehörde der hippen Bio -PC-„I know it all“-Moms.
Und ja, Sam isst auch Süßigkeiten. Am liebsten Gummibärchen und nein, nicht die aus dem Bio-Markt, sondern die guten alten Goldbären. Mal ehrlich, die Gummibärchen aus dem Bio-Markt … habt ihr die mal probiert im Vergleich zu den Goldbären?? Und ich habe immer eine Tüte in der Tasche. Denn wenn ich es mal wirklich eilig habe und Sam aber lieber „leine laufen“ will, dann sind Gummibärchen das beste Argument für ihn, sich doch in den Buggy zu setzen.
Gegessen wird bei uns tatsächlich am Tisch. Also, sagen wir mal in 80% der Fälle. Wenn seine Patentante Hilly da ist, dann essen die beiden meistens im Indianerzelt in Sams Zimmer. Gut, dafür sind Patentanten da. In den anderen 20% renne ich aber auch gerne mal hinter Sam her und stopfe ihm die Pasta in den Mund. Wenn er abends nämlich vor Müdigkeit nicht genug isst, dann heißt das, dass er morgens um drei hungrig wach wird und zwei Flaschen Milch trinken will. Strikte Tischregeln? Super Idee, aber mein Schlaf geht vor.
Es gibt Morgen, da will Sam nur zu Hause im Schlafanzug sitzen und LEGO spielen. Und ich kann mich auf den Kopf stellen, er will sich partout nicht anziehen lassen. Meistens passiert das natürlich dann, wenn Marc und ich dringend los müssen. Ich habe es wirklich lange und oft versucht, mit ihm pädagogisch wertvoll umzugehen und ihm zu erklären, warum er sich jetzt anziehen muss. Aber lets face it: Das Einzige was da hilft, ist es ihm mein iPhone in die Hand zu drücken und ihn mit der Muh-Box spielen zu lassen: Man drückt auf ein Tierbild (Ziege, Kuh, Hase) und das dazugehörige Geräusch ertönt. Ich meine, es hat doch mit Natur zu tun. Es sind auf jeden Fall wichtige Informationen. Dieses Morgenritual ist ein herrliches Beispiel für die Wenn-Dann-Sätze, die ich nie benutzen wollte: Wenn Du Dich anziehen lässt, dann …
Und nur um eins klar zu stellen: Ich bin immer noch der Überzeugung, dass meine Ansichten Pre-Mutterdasein total richtig sind. Ich bin immer noch für kein Fernsehen, klare Regeln und keine Süßigkeiten. Aber das ist wie mit den Anti-Kriegs Sprüchen aus den 80er Jahren „Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Super Spruch! In der Theorie. Nur an der Umsetzung hapert es…
Tags: Erziehung Vorbild
6 Comments
Liebe Lucie,
ich bin auch TOTAL gegen Süßigkeiten, Fernsehen und Essen auf dem Boden. Aber warum sollte man darauf verzichten solange es noch wirkt?!!! Das wäre doch blöd….Die wirkliche Frage ist doch was wir machen wenn die süßen Kleinen, sagen wir mal, 12 oder so sind…..
Gestern hat mir eine Mutter von einer anderen Mutter erzählt, die ihr erklärte, der Grund warum ihre Tochter besser Klavier spiele als Sophie sei, weil sie nicht wie Sophie antiautoritär erzogen würde….hmmm…danke für dieses Gespräch!!!! Überall Wahnsinn – darauf sollten wir mal wieder einen G&T trinken!
Prost,
Deine Frauhollmann
You are hanging out with the wrong crowd, sugar! G&T any time! Where and when???
Hallo Lucie, das ist echt sympathisch von dir, die Dinge mal auszusprechen. Bei mir gelten nicht mehr die Wenn-Dann-Sätze sondern schon die Wenn-du-jetzt-nicht…Dann-darfst-du-nicht… Ich bin aber auch schon beim 2. Kind. Und glaube mir, die zickigen Mädels sind auch nicht wirklich leichter zu managen. Aber ohne die beiden Mäuse kann ich mir mein Leben auch nicht mehr vorstellen. Mach bitte weiter! LG
Volltreffer!
Oh ja, dass kenn ich von meiner Maus und zum Teil auch von mir. Man nimmt sich so vieles vor, man will vor den Anderen bestehen, das schlechte Gewissen…
Liebe Grüße , Christian
Toller Beitrag!!! hihi, hat Spaß gemacht, es zu lesen, und vorallem: RECHT HAST DU!
;-))