Ich würde mich eigentlich, bis auf meine Hypochonder-Ader, als eine ziemlich stabile Person bezeichnen. Man kann mich unter Fremde lassen, ich kann zusammenhängende Sätze von mir geben und (meistens) zum richtigen Zeitpunkt lachen. Manche behaupten sogar, dass ich an guten Tagen und mit einem Gin Tonic in der Hand einen gewissen Unterhaltungswert habe.
Eines darf man mit mir allerdings nicht machen: mich zu lange in geschlossene Räumen einsperren. Vor allem nicht in diesem 6 Monate anhaltenden Berliner Winter, wenn das Licht nur für ein paar Stunden am Tag rauskommt. Ab Tag 3 fange ich an, nicht nur wie ein hospitalisierender Panther vor der Balkontür auf und ab zu laufen, sondern ich habe das Gefühl, mein Gehirn verwandelt sich auch in eine dumpfe Masse und eine gewisse Verwirrtheit setzt ein. In diesem Stadium empfinde ich tiefe Empathie für Jack Nicholson in „ Shining “, ich fühle mich geradezu wie seine Schwester im Geiste.
Seit einer Woche sitze ich mit Sam und seiner miesen Bronchitis zu Hause. Und alle oben genannten Symptome sind in voller Blüte. Es sind aber auch alle Faktoren erfüllt, die in der Lucie – Bedienungsanleitung unter „DONTS“ stehen:
1. Geschlossene Räume
2. Winter und kein Ende in Sicht
3. Und das Ganze hält bereits länger als 3 Tage an
Sam hustet sich die Lunge aus dem Hals, klebt an mir, will keinen Schritt ohne mich gehen, Marc ist beruflich unterwegs und die einzige Babysitterin, die Sam krank akzeptiert, schreibt gerade ihre Magisterarbeit. Dabei findet sie ihr Studium eh blöd. Aber alle Versuche sie zu überzeugen, das doch JETZT der ideale Zeitpunkt ist es abzubrechen, haben nicht gefruchtet. Ja, soweit ist es schon: Ich rede unserer Lieblingsbabysitterin ein, dass man keinen Abschluss braucht auch auf die Gefahr hin, dass das auf der Karmapunkte-Liste dicke Abzüge gibt. Aber was soll’s?
Ich beobachte mich selber mit einer gewissen psychologischen Neugier und bin baff über das rasante Tempo, in dem ich mutiere. Ich meine, mal ganz ehrlich für andere Mütter ist das der Alltag. Und häufig sogar mit mehr als einem Kind und als Krönung noch alleinerziehend. Ich bin schon nach 5 Tagen so am Ende, dass ich mich ernsthaft fragen muss, ob ich nicht als Mutter einfach eine totale Niete bin? Lucie, es sind FÜNF Tage und irgendwann ist auch eine Bronchitis überstanden. Trotzdem habe ich immer sofort das Gefühl, ich bin angekettet, mit einer großen Eisenkugel am Fuß und werde NIE wieder nach Honolulu reisen.
Es ist wie das „Flips“ – Syndrom: du hast tierische Lust auf Flips, aber keine zu Hause hat und alle Geschäfte sind zu: Du willst aber nix anderes als Flips! Es müssen Flips sein!! Jetzt sofort! Wenn du welche zu Hause hättest, würdest du sie wahrscheinlich noch nicht mal anrühren, aber du hättest wenigstens die freie Entscheidung.
Das Drama-Potential das ich in mir habe, erstaunt mich selber. Und wenn ich mich gelegentlich wundere, wie Sam von einer Minute zur anderen die Tränen fließen lassen kann und Weltuntergang spielt, dann muss ich hier mal Eines zugeben: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Herrlich zu beobachten ist auch, wie mein Selbstmitleid proportional zu den Bronchitis – Tagen gerade zu sprunghaft auf der Kurve nach oben schnellt. Und wenn ich meine „mein-Leben-ist-ein-Desaster“- Zigarette während Sams Mittagsschlaf auf dem Balkon rauche, könnte man meinen, dass ich seit 8 Jahren in Isolationshaft bin.
Was vielleicht aber auch daran liegt, dass ich wie Sam seit Tagen im Schlafanzug rumlaufe. Meine Haare bräuchten mehr als eine Glanzspülung und so ein bisschen Mascara kann in solchen Momenten ja gerade zu das Leben verändern.
Liegt es vielleicht daran, dass ich so spät Mutter geworden bin? Dass ich mich so herrlich daran gewöhnt habe, immer genau das zu machen, wozu ich Lust habe? Und vor allem WANN ich dazu Lust habe. Also, entweder bin ich mittlerweile einfach zu schrullig, um mich auf etwas anderes oder jemand anderen, als mich selbst einzustellen. Oder es ist ein mieser Charakterzug, den ich schon immer hatte. Both is depressing, wie man so schön sagt.
Ich glaube, heute ist kein guter Tag, um diese Fragen zu erörtern. Ich gehe jetzt erst mal duschen (wahrscheinlich mit Sam: „Will auch bath!!) und schminke mich dann (Sam wahrscheinlich auch: „Auch Lipsick!). Vielleicht sitzen Sam und ich dann gleich beide frisch gebadet und geschminkt auf dem Sofa und die Welt sieht schon besser aus.
P.S.
Andere Möglichkeit: Ich höre einfach auf meine Freundin Jen: „On days like these, just put a little Tequilla in your morning tea.“ Cheers.
Tags: Bronchitis Gefängnis Leben Shining waterloo
2 Comments
Oh nein, ich kann das so gut nachvollziehen! Genau vor solchen Momenten hab ich auch Angst, ich werde wohl auch eine späte Mutter (wie furchtbar klingt das denn bitte??) werden und hatte auch schon manchmal die Befürchtung, dass ich mich einfach schon zu sehr an mein selbstbestimmtes Leben gewöhnt hab… Bitte sag ganz schnell, dass man sobald man ein Kind hat einfach gar nichts anderes mehr WILL und Honolulu sowieso doof ist 😉
Ich freu mich auf morgen!
xo Zoe
also, ich kann dir versichern, das eigene alter oder die anzahl der kinder spielen keine rolle 🙂 ich krieg jedesmal die krise, wenn hier irgendwas außerplanmäßig läuft und ich aus meiner routine raus muss – kinder vormittags nicht weg, weil krank, mittagsschlaf fällt flach, weil phase… so was halt.
also, auch wenn du grade alleine da hockst, bist du zumindest verstanden 🙂
cheers!