Ich verstehe die Welt nicht mehr. Eigentlich müssten die vergangenen Jahre meinen Körper gestählt haben. Sam wiegt mittlerweile 16 Kilo, und nach der Kita ist er meistens so müde, dass ich ihn zu Hause in den zweiten Stock trage – inklusive seines Rucksacks (knapp 1 Kilo), meiner Tasche (ca. 1,5 Kilo) und der Einkaufstüten (bestimmt 2 Kilo). Mein Bizeps sollte doch mindestens so groß sein wie der von Popeye. Dem ist leider nicht so.
Am Nachmittag spielen wir immer Fußball, das heißt meine Beinmuskulatur müsste ebenfalls total definiert sein. Und ich weiß nicht, wie oft ich loshechte, um die Vase aufzufangen, obwohl ich eigentlich gerade koche, nur weil Sam mit Lichtschwert bewaffnet einen imaginären Drachen jagt. Das heißt, ich müsste überdies noch unglaublich gelenkig und geschmeidig sein. Zusammengefasst müsste also mein Körper eigentlich aussehen wie eine Mischung aus dem von Heidi Klum und Mesut Özil.
Die traurige Wahrheit ist: Davon kann ich nur träumen. Und mal ehrlich: Dellen an Oberschenkeln sind auch nur bei Neugeborenen süß.
Als ich am Wochenende mit Sam auf dem Trampolin springe und mein Beckenboden mal wieder total versagt, wird auch mir klar: Hier muss sich was ändern. So larifari mal jeden zweiten Monat zum Yoga zu gehen oder darauf zu hoffen, dass es Frühling wird und die Joggingschuhe auspackt werden können, ist eine Schwachsinnsidee.
Ich habe mich also beim Pilates angemeldet. Das Studio befindet sich auf der anderen Straßenseite, also gibt es keine Ausreden von wegen U-Bahn verpasst oder so. Und ich habe mir noch einen weiteres „Druckmittel“ eingebaut: Der Kurs wird von der Krankenkasse bezahlt, aber nur wenn man ihn auch regelmäßig besucht. Nicht, dass mich das umbringen würde den Kurs selber zu zahlen, aber ich kenne mich gut genug um zu wissen, dass so ein Argument mein Durchhaltevermögen stärkt. Man muss sich nur selbst auszutricksen wissen.
Gestern war nun die erste Stunde. Sabine, die Lehrerin, erklärt uns ausgiebig wie wir zu stehen haben und worum es eigentlich im Pilates geht: „Ihr müsst euer Powerhouse anschmeißen, das ist das Zentrum unterhalb des Bauchnabels. Und dann den Beckenboden anziehen.“ Oha.
Ich hatte erwartet, dass mein Körper sich natürlich an meine vergangenen Sportaktivitäten erinnert, dass er sofort drauf anspringt. Aber im Zentrum unterhalb des Bauchnabels tut sich nicht viel. Da prangt nur die wulstige Narbe vom Not-Kaiserschnitt, die meinen sonst immer flachen Bauch in eine zarte Hügellandschaft verwandelt. Vom Beckenboden will ich gar nicht erst reden.
Sabine spornt mich an und ich gebe mein Bestes. Ich hebe die Arme hoch und runter, versuche das Powerhousewhateverzentrum zu finden und mache kleine Kreise mit den Beinen. Alles keine so wahnsinnig aufregenden Bewegungen. Nach einer Stunde habe ich keinen Tropfen geschwitzt und gehe nach Hause. Naja, so toll ist Pilates jetzt auch nicht. Wovon schwärmen denn alle immer so?
Allerdings beschäftigt mich eine Sache schon: Sabine hatte mich während der Stunde darauf aufmerksam gemacht, dass ich bei einer Übung meinen Fuß etwas mehr ausdrehen sollte. Und ich dachte: Welcher Fuß? Ich habe überhaupt keine Verbindung zu diesem Ding, das da unten an meinem Bein hängt. Und das obwohl ich eine Tanzausbildung habe, jahrelang Yoga gemacht habe und sehr genau über die Außenkante meines Fußes Bescheid wusste.
Seit Sam da ist, weiß ich hauptsächlich über seine Füße Bescheid: was er alles mit ihnen machen konnte, während er gewickelt wurde, der herrlich dicke Spann und die Beweglichkeit seiner Stummelzehen, wann er laufen lernte und die Bewegungen seiner Windelhüften – all das habe ich genauestens studiert. Und habe dabei anscheinend meinen Körper verloren. Ich bin gar nicht bei und in mir. Ist Pilates die Rückkehr in meinen Körper? Nach drei Jahren der Abstinenz?
Im Laufe des Nachmittags spüre ich plötzlich, wie ein Muskelkater einsetzt, in einem Ausmaß, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt habe. Vor allem in Muskelregionen, die mir bis dato vollkommen unbekannt waren. Ich habe das Gefühl, alle Muskeln meines Körpers haben zur Revolution aufgerufen. Zum ersten Mal in ihrem Leben haben sie sich zu Wort gemeldet.
Nach der Kita komme ich kaum die Treppe hoch und muss wie eine Hochschwangere auf jeder Etage eine Pause machen. Gestern war ich noch gelangweilt von den niedlichen Kreisen, heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht doch beim Crosscountry war und es einfach vergessen habe?
Als ich Sam den Pyjama anziehen will, kann ich ihm kaum sein T-Shirt über den Kopf ziehen. Meine Arme zittern zu stark. Um 8 liege ich mit Sam im Bett, mein ganzer Körper zittert, aber es ist dieses wohlige Zittern, der einen jeden Winkel des Körpers spüren lässt. Um 8.10 bin ich im Tiefschlaf, ich glaube noch vor Sam.
Ich nehme alles zurück. Pilates rocks. Ich bin angefixt. Im Sommer packe ich wieder die Hotpants aus. Bis dahin sehen meine Beine bestimmt aus wie die von Heidi Klum. Oder so ähnlich.
P.S.
Gestern habe ich noch ein Photo von meiner Leserin Jasmin bekommen, die am Wochenende den Kuchen von Elfenkind gebacken hat. Den gab es bei ihr zum Frühstück!! SENSATIONELL. Ich glaube, ich verzichte lieber auf Beine wie Heidi Klum und frühstücke jetzt immer bei Jasmin.
Tags: alles anders Mutterwürde
2 Comments
Ja, ich habe eigentlich auch noch bis zum heutigen Tage zwei personal Trainer ;-), und kann mich noch allzu gut an die Phase erinnern, wo Sohn 1 seine 15 Kilo wog, sich konsequent ab Stufe 16 weigerte an meiner Hand in den dritten Stock zu klettern, Sohn 2 bereits in der Endphase in meinem Bauch bebrütet wurde (Passanten: „Ach, Sie Ärmste, Sie haben ja nicht mehr lange…!“ Äh…Anfang siebter Monat!!!) , Gottlob der Ehemann die Einkäufe in die Maisonette-Wohnung schaffte, aber da war ja auch noch mein eigenes Gewicht… Manches mal habe ich gedacht, daß Kniescheiben nicht unendlich halten können und wartete schon innerlich darauf, daß sie irgendwann von alleine von meinen Knien abflogen. Glücklicherweise haben sie auch diesen Belastungen standgehalten.
Nach meiner ersten Pilates-Stunde habe ich genauso gedacht. 😉 Zwei Tage später hatte ich Muskelkater innen im Körper!! Muskeln haben sich bemerkbar gemacht, von denen ich gar nichts wusste, an Stellen wo ich niemals Muskeln erwartet hätte.
Viel Spaß weiterhin beim Pilates und LG