Ich mag es nicht, wenn man mir ein O für ein U verkauft. Da habe ich das Gefühl, man beleidigt meine Intelligenz. Ich mag es nicht, wenn man mir einzelne Salamischeiben hinlegt, wenn ich doch weiß, dass die Salami ein langes Ende hat.
Wir sind in Woche 5 oder 6, keine Ahnung. Ist auch egal, weil man sollte aufhören, die Wochen zu zählen, als würden sie irgendwann enden. Sondern sich an den Gedanken gewöhnen, dass dies hier unsere neue Realität ist, mit der wir einen Umgang finden müssen.
Corona zeigt auf, was schon vorher im Argen lag. Corona zeigt – wie eine Lupe – alles auf einmal übergroß, was vorher schon brüchig war und nur durch Eltern und hauptsächlich den Frauen gehalten wurde: Die Care Arbeit, das reformierbedürftige Schulsystem, die unterbezahlten Pflegeberufe. Ist alles nichts Neues. Liegt jetzt aber auf dem Corona Präsentierteller.
Was für Grenzen?
Ich bin schon vor Corona oft an meine Grenzen gekommen. Und ich bin echt hart im Nehmen. Ich kann viel wuppen. Mein Energielevel ist hoch. Aber ich saß vorher schon oft donnerstagabends auf dem Sofa und konnte nicht mehr. Arbeiten, Kind, Haushalt. Alles großartig, aber in der Menge einfach zu viel auf einmal.
Jetzt ist alles gleichzeitig. Ich soll arbeiten, Geld verdienen, mein Kind beschulen, den Haushalt werfen. Ja, mein Partner unterstützt mich zum Glück. Sonst würde ich völlig am Rad drehen.
Aber es ist trotzdem zu viel. Weil ich nicht Mutter, Lehrerin, Köchin, Putzfrau in einem sein kann. Vor allem gleichzeitig.
Wollt ihr uns alle ins Burnout schicken?
Das schrieb neulich Lisa von StadtLandMama. Und das ist eine sehr berechtigte Frage. Denn neben den Tätigkeiten – die schon zum Burnout führen – wird hier völlig außer Acht gelassen, dass wir ja auch psychisch unfassbar viel tragen! Ich bin Cheerleader. Für meinen Sohn. Denn ihm geht langsam die Luft aus. Er vermisst die Freunde. Mal ist er nah am Wasser gebaut. Mal motzig und wütend. Mal traurig und antriebslos. Mal überdreht.
Ich bin Cheerleader für mich selbst. Weil ich – verdammte Hacke – manchmal auch nicht weiterweiß. Weil es mir alles über den Kopf wächst. Nochmal kochen, nochmal waschen, nochmal Mathe während des Zoom Meetings. „Hast du auch was mit diesem Homeschooling zu tun?“, fragte mich neulich ein kinderloser Mann, und ich wusste nicht, ob ich lachen, weinen oder ihm ins Gesicht springen sollte. Letzteres ging ohnehin nicht, weil wir gerade zoomten. Aber die Realitäten sind halt sehr unterschiedlich. Wäre ich jetzt ohne Kinder, wäre meine Realität allerdings auch wieder eine andere.
Mir reicht‘s. Und es ist erst der Anfang.
Wir stehen am Anfang einer neuen Realität. Und jetzt will ich Visionen. Von der Politik. Von Philosophen, von jungen Denkern und Vorreitern – nicht von 26 Herrschaften über 60, die mit meiner Realität und der meines Kindes nichts zu tun haben. Ich will Inspirationen. Out off the box denken, wie es so schön heißt. Corona zwingt uns, die alten Trampelpfade zu verlassen. Das sollten wir auch annehmen und uns durchs Dickicht schlagen. Mal sehen, was dabei rauskommt.
Wir manövrieren die Steuerzahler von morgen durch die Krise
Denn hier geht es nicht um mein kleines Universum, das ich mir selbst gestalten kann. Hier geht es um weit mehr. Also, Leute, wie schaut‘s aus? Setzt ihr euch mit uns an einen Tisch? Fragt ihr mal die Eltern? Wir sind nämlich diejenigen, die gerade die Steuerzahler der Zukunft durch diese Zeit manövrieren. Die dafür sorgen, dass demnächst nicht übermäßig viel psychische Wracks durch Deutschland laufen. Und fallen dabei aber leider – mal wieder – hinten runter. Nur ist die Klippe jetzt einfach zu hoch.
Die Schere wird immer größer
Und einen ganz anderen Preis zahlen Kinder mit einem anderen Background. Ein guter Freund von meinem Sohn aus der alten Schule. Seine Mutter stammt aus Thailand. Seit 20 Jahren in Deutschland. Lupenreines Deutsch, wenn sie spricht. Sehr lustige Wortkonstruktionen, wenn sie schreibt. Zauberhafte Frau. Alleinerziehend. Schon vor Corona kam der Sohn zu uns mit Fragen in Deutsch und Englisch, und wir haben die Hausaufgaben gemeinsam gemacht. Sie hat mir Tupperware Boxen mit den köstlichsten Gerichten vorbeigebracht. So macht man das. Jeder das, was er kann.
Sie hatte wegen ihrer Mini Anstellung kein Anrecht auf den Hortplatz gehabt. Da habe ich schon echt mit dem Kopf geschüttelt. Hallo, denkt da jemand bitte mal mit? Merkt doch jeder, der 1 und 1 zusammenzählen kann, dass dieses Konzept Schwachsinn ist. Habt ihr mal an die Kinder gedacht? Das sind die Steuerzahler von morgen.
Und jetzt? Vollkatastrophe. Ich habe am Anfang noch mitgeholfen. Aber ich kann nicht mehr. Weil ich es gerade kaum schaffe, meinen eigenen Kopf über Wasser zu halten. Und ich es nicht schaffe, auch noch ihr Leid zu tragen. Und ich schäme mich, weil ich es nicht schaffe. Ich könnte heulen, wenn ich dran denke, wie dieses tolle Kind gerade durch die riesigen Sieblöcher unserer Gesellschaft fällt.
Aber eigentlich müssten sich doch ganz andere schämen, oder?
No one is left behind?
Ach, echt? Wer hat sich denn diesen schönen Spruch ausgedacht? Die Anrufe bei den Hilfetelefonen steigen mal eben so um 30 % und wir sagen, ja, war ja klar. Und dann? UND DANN?
I am dreaming… but hey…
Ist jetzt nicht die Zeit für den Jahrestest des bedingungslosen Grundeinkommens? ( hier gibt es Infos) Ist jetzt nicht Zeit, dass man nicht nur einen f** Bonus an die Pflegekräfte zahlt, sondern verdammt nochmal generell dieser Berufsgruppe die monetäre Wertschätzung entgegenbringt, die sie verdient? Was ist denn da los bei euch? Wir retten Banken. Automobilkonzerne. Wie wäre es jetzt endlich mal mit Schulen, Menschen? Ja, gähn, ist kein neues Thema. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?
„Ihr müsst auf die Straße gehen!“
Meine Mutter war Lehrerin. „Ich verstehe gar nicht, wie Kinder zuhause mit der psychischen Belastung lernen sollen. Und dann auch noch mit den eigenen Eltern, die alle erschöpft sind. Wer denkt sich denn sowas aus? Ihr müsst auf die Straße gehen!“
Recht hat sie. „Mama, wir dürfen nicht auf die Straße!“, erinnere ich sie. „Ach, stimmt“, sagt sie, „aber es gibt bestimmt andere Möglichkeiten. Es kann doch nicht sein, dass Familien immer und immer vergessen werden.“
Und damit hat sie Recht!
Mareice hat den Hashtag #CoronaEltern ins Leben gerufen. Jeder der diesen Text liest, ist auf Social Media unterwegs. Wenn ihr nicht selbst schreiben möchtet, dann teilt diesen Text mit dem Hashtag. Oder einen anderen Text oder Spruch oder ein Bild. Aber wir müssen lauter werden. Nicht mehr leise sein und zuhause schimpfen, während wir todmüde ins Bett kippen.
Seid so laut, dass die Hörgeräte der Herrschaften piepsen und dass sie im Bundestag nicht anders können, als in unserem Sinne zu denken!
8 Comments
Ich finde deinen Beitrag ehrlich und gut ausformuliert. Du sprichst mir aus der Seele. Ich arbeite aktuell mit einem 2 jährigen Kind und einer 4. Klässlerien von zuhause und es ist ein psychischer Kraftakt. Gepaart mit all den finanziellen Sorgen, da Kita und Hort fleißig weiter monatlich abbuchen. Ich wünschte man würde Familien und alleinerziehende Elternteile mehr unterstützen im Moment.
Völlig richtig! Es tut weh und auch wenn Lockerungen eintreten… es wird ja nicht wirklich besser. Also, bei uns zu mindestnes nicht.
Du hast so Recht! Mir geht es nicht anders als dir. Und ja…wir müssen uns wehren. Vielleicht sollten wir Blogger uns allesamt zusammentun, DENN so…kann es nicht weitergehen! Es ist übrigens schade, dass deinen Post bisher niemand kommentiert hat. Liebste Grüße
Liebe Nadja, unter #coronaeltern haben sich ja schon ganz viele zusammen getan. Aber wenn du eien Blogparade machst, bin ich SOFORT dabei!!!
Wir können auf die Straße gehen! Morgen in Stuttgart Cannstatter Wasen.
Also, jetzt mit den Lockerungen geht das!! Sofort. Aber wie komme ich nach Stuttgart? Oder sollten wir nicht alle vor dem Bundeskanzleramt campen? Mit 1,5 m Abstand?
Super Text!!! Sprichst mir aus der Seele! Okay, WANN und WO gehen wir mit andern Eltern auf die Strasse!??
Ja, das ist eien gute Frage. Auch wenn die Lockerungen jetzt kommen. Wenn man sich den Zeit Podcast anhört, dann müssen wir jetzt erst recht auf die Strasse! Hier der Link: https://www.zeit.de/politik/2020-05/gleichberechtigung-corona-krise-emanzipation-politikpodcast