Am Dienstag war ein alter Freund von Sam aus dem Kindergarten bei uns zu Besuch. Wir sehen ihn nur selten, Laurenz war schon immer ein kleiner Überflieger. Das kann manchmal für alle anstrengend sein, auch für ihn selbst. Auf dem Weg von der U-Bahn nach Hause rannte er über die Straße. Ohne richtig zu schauen. Bei so etwas sehe ich ROT. Das ist mein persönlicher Alptraum, dass einem Kind, das bei uns zu Besuch ist, etwas passiert.

„Laurenz“, herrsche ich ihn an, „du kannst nicht einfach über die Straße laufen!“ Ich ernte als Antwort: „Ich bin über die Straße gelaufen – du musst die Vergangenheitsform wählen, Lucie.“
Ich stehe da mit offenem Mund. Nicht nur habe ich das berüchtigte Wort – NICHT – gesagt, das unser Gehirn mal geflissentlich rausstreicht. Nein, ich werde auch noch von der Grammatikpolizei angehalten und bekomme Punkte.

Wir gehen nach Hause, Sam und Laurenz ein paar Schritte vor mir. Da höre ich Sam sagen: „Mama, Macarons sind doch die Dinger, die wir nicht mögen, ne?“ Ich stimme ihm zu, wundere mich aber kurz, wie die beiden auf Macarons kommen. Das wird schnell aufgelöst, denn Laurenz sagt: „Ich meinte, MACRON hat auf der letzten Sitzung im EU Parlament…“
Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll.

Zum Abendessen gibt es Pasta, und während Laurenz die Spaghetti auf der Gabel dreht, sagt ganz gedankenverloren: „Hitler hat 6 Millionen Juden vergast und das ist wirklich nicht in Ordnung gewesen.“ Ich verschlucke mich fast, Sam sieht ihn ganz verdattert an. Ohne Frage war das „nicht in Ordnung“. Aber wie kommt ein knapp Achtjähriger zwischen „reich mir mal den Parmesan“ und „kann ich mehr Spaghetti“ auf so ein Thema?

„Mama, ich mag Laurenz wirklich gerne“, sagt Sam abends in der Badewanne, „aber manchmal ist er auch ein bisschen seltsam“. Ich nicke und ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich diese Art von Besuch nicht zu oft brauche. Sam resümiert: „Tja, jeder ist halt anders, Mama.“
Und ich möchte vor Scham im Boden versinken und denke: „Wenigstens eine weise Seele in diesem Haus.“