Ich habe euch lustige Schulgeschichten versprochen. Die kommen auch, versprochen. Aber manchmal sind Schulgeschichten nicht lustig. Sondern nur zum Heulen. Oder zum Kotzen. Oder beides.
Ich habe einen Brief an den Schulleiter unserer ehemaligen Schule geschrieben. Wir haben diese im Sommer nach 2 Jahren verlassen. Ich glaube, der Brief fasst am besten unsere Schulzeit dort zusammen.
Sehr geehrter Herr Direktor,
Kurz vor den Herbstferien rief mich die Mutter eines ehemaligen Schulkameraden meines Sohnes an. Sie sei jetzt auch händeringend auf der Suche nach einer neuen Schule. Ihr Sohn ist damit der sechste Schüler, der die Klasse verlässt.
2 Jahre hatten Sie die Verantwortung für unseren Sohn und die anderen knapp 500 Kinder auf der Schule. Nicht zu vergessen, für das Kollegium aus über 60 Lehrern. Das ist eine ziemliche große Verantwortung. Bestimmt nicht ohne, kann ich mir so laienhaft vorstellen. Aber das weiß man ja, bevor man Direktor wird.
Wir haben uns mit Ihnen die Köpfe heiß geredet. Nicht weil wir für unsere Kinder Marmorböden und Skireisen nach St. Moritz fordern wollten, sondern um Basics gebeten haben. Wie: Saubere Klassenräume und gesunde Lehrer, die Umstände vorfinden, die Kinder adäquat zu unterrichten.
Die Klasse meines Sohnes hatte 22 Schüler, deren Bedürfnisse nicht unterschiedlicher hätten sein können. Und obwohl die schulinterne Lehrerabstimmung eindeutig ergeben hat, dass JüL für die Klassenstufen 1 – 3 mit dem Lehrermangel nicht zu machen ist, haben Sie die Abstimmung ignoriert und hielten daran fest. Das ist, um ehrlich zu sein, der blanke Wahnsinn.
Denn ein Junge, der mit 5 eingeschult wurde und alles mitbringt, was einen neugierigen und schnelldenkenden Schüler ausmacht, braucht was anderes, als der knapp Zehnjährige, der vor 3 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen ist und in jedem Morgenkreis davon erzählt, wie seine Schwester vor seinen Augen erschossen wurde.
Die Achtjährige mit der Leseschwäche braucht etwas anderes, als mein Sohn, der Bücher liebt aber ausgesucht faul ist, wenn es ums Schreiben geht. Der schüchterne Zweitklässler braucht was anderes als die quirlige Drittklässlerin, die vor lauter Begeisterung am Lernen kaum ruhig sitzen kann. Ich könnte die Beispiele bis ins Unendliche fortführen, aber ich hoffe, meine Position wurde deutlich. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin der größte Fan von Vielfalt.
Nur ist es schon kaum machbar, die Bedürfnisse von Kindern einer Altersgruppe mit einem ähnlichem Background unter einen Hut zu kriegen, aber diese Mischung ist für niemanden tragbar – weder für die Kinder, noch für den Lehrer. Da bräuchte es mindestens 3 Fachkräfte und einen Therapeuten.
Die Klassenlehrerin hat im ersten Schuljahr krankheitsbedingt die Segel gestrichen. Und ist an eine andere Schule gewechselt, an der sie geschätzt wird und nicht ins Leere läuft, wenn sie mit Kollegen versucht, JüL 1- 3 abzuschaffen, weil es nicht umsetzbar ist und sie es einfach nicht verantworten kann. Das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel, das ihrem Weggang folgte, war gelinde gesagt absurd. Als Eltern wussten wir irgendwann gar nicht mehr, ob es überhaupt einen Klassenlehrer gibt und wenn ja, wer das war. Und mein Sohn erzählte mir jeden Tag, dass der Lego Turm heute höher war als der vom Vortag, weil es wieder Unterrichtsausfall gab und er nur noch Lego baute.
Ich gehöre nicht zu den Eltern, die von ihrem Kind bereits in der 1. Klasse erwarten, dass es mir den Satz des Pythagoras erklärt. Mir ist vor allem wichtig, dass mein Sohn Lust am Lernen bekommt. Dass er gerne zur Schule geht, weil sie inspiriert und ihn ermuntert, die nächste Klippe zunehmen. Dass sie ihn motiviert und anspornt.
Ich gehöre zu den Eltern, die Gewissheit haben wollen, dass ihr Kind bestens aufgehoben ist, dass es gesehen wird, dass es unterstützt wird, wenn es hakt, dass es in seinen Talenten gesehen wird und ermutigt wird, ihnen nachzugehen. Ich gehöre auch zu den Eltern, die glückliche Lehrer sehen wollen. Ich möchte Lehrer sehen, die gerne zur Schule gehen. Lehrer, die von ihrem Direktor gehört und geschätzt werden, dafür, dass sie die Zukunft unserer Gesellschaft täglich begleiten und sie prägen. Denn nicht Sie, Herr Direktor, sondern Ihre Lehrer stehen vor den Klassen.
Und so unglaublich abgeschmackt der Satz klingen mag: Kinder sind unsere Zukunft. Und wenn ich mir unsere derzeitige Welt so anschaue, dann brauchen wir eine Generation, die umdenkt und ein paar richtig gute Ideen hat.
Der Ton unter den Schülern an Ihrer Schule ist rau. Ich fluche selber ausgesprochen gern, aber wenn mich in der 1. Klasse mein Sohn fragt, was Huhrensohn ist und ergänzt, dass ihn einer der Jungs immer so nennt, dann finde ich das nicht schön. Gut, jetzt kann man sagen „die größeren Jungs sind halt ein bisschen rauer“, aber soll ich Ihnen was sagen? Der Junge, dessen Mutter mich gerade anrief, sagte nur: „Mama, in den Klassen werden nur schlimme Sachen gesagt wie f…. und Schlampe und ‚Deine Mutter ist eine Nutte‘, und ich will mit solchen Jungs nicht befreundet sein.“ Das spricht sehr für ihn. Und wir reden hier nicht von der Rütli Schule im tiefsten Neukölln. Sondern wir reden von einem gutbürgerlichen Stadtteil im Westen der Stadt.
In unserer Klasse haben 5 Kinder die Schule verlassen. Nicht ohne Kampf. Es gab unendliche Gespräche mit der Direktion. Unendlich viele Briefe. Als ich meinen Sohn abmeldete, bestand keinerlei Interesse, meine Beweggründe zu erfahren. Ich wurde von der Sekretärin nur angeschnauzt, weil ich eine Kopie des letzten Zeugnisses haben wollte.
Wir alle wissen, wie groß der Lehrernotstand ist. Dass Sie nicht das Versäumnis der Regierung auffangen können, ist auch mir klar. Aber Sie könnten eine kleine Insel im Meer des Schulchaos sein. Sie hätten die Möglichkeit, einen Ort zu schaffen, an dem Lehrer und Schüler sich gleichermaßen wohlfühlen. Sie könnten ein Leuchtturm sein. Wir Eltern haben mit den Lehrern das Klassenzimmer geschrubbt und die Wände bemalt. Es bedarf nicht viel, uns an Bord zu holen. Sie hätten ein Vorbild sein können für einen anderen Umgang. Zuhören kostet nichts. Ein freundliches Wort ebenfalls nicht. Stattdessen verlassen fast alle jene Ihre Schule, die irgendwie die Möglichkeit haben. Und zurück bleiben hauptsächlich die, die vermutlich am meisten Unterstützung bräuchten.
Da blutet mein Herz. Wie steht es um Ihres? Ich weiß nicht, wie man so morgens guten Gewissens beim Zähneputzen in den Spiegel schauen kann.
Läuft an der neuen Schule alles perfekt und rund? Natürlich nicht. Es läuft nie komplett rund, wenn viele Menschen unter einem Dach sind. Aber wir reden über Feinheiten und nicht Basics. „Mama, die sind so freundlich hier“, war der erste Satz, den mein Sohn an seinem ersten Schultag mit nach Hause brachte. Er hat den Ehrgeiz, der Beste in Mathe zu sein, weil die Lehrerin mit Spaß an die Sache geht. Das alles kostet keinen Euro mehr. Aber es lässt meinen Sohn morgens gerne zur Schule gehen. Und es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich ihn morgens hinbringe. Und das ist alles, was ich mir wünsche. Und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht alleine bin.
Mit freundlichen Grüßen,
Lucie Marshall
P.S. Zu den anderen Schulmärchen Reporten geht hier entlang:
Schulmärchen 1, Schulmärchen 2, Schulmärchen 3, Schulmärchen 4
4 Comments
Tja, was soll ich sagen?! Dieses Juul-Prinzip veranlasste mich vor Jahren, unsere Kinder im deutlich entfernt gelegenen Nachbarort anzumelden, wo man sich im Kollegium geschlossen gegen diese Unterrichtsform ausgesprochen hatte. Die Grundschule war wirklich hervorragend gut. Tolle, engagierte Lehrer, die es den Schülern an nichts mangeln ließen. Bei der Weiterführenden hatte man eher das Gefühl, im Haifischbecken gelandet zu sein – weniger wegen der Kinder, sondern eher wegen einiger übereifriger Eltern. O-Ton Mutter: „Larifari wie auf der Grundschule ist nun nicht mehr. WIR sind jetzt auf dem Gymnasium!“ Da weiß man dann Bescheid. Es gibt sehr gute Lehrer, so wie auch einige, die besser einen anderen Beruf ergriffen hätten. Das Klo-Problem wurde bei uns gelöst, in dem die Klos IMMER abgeschlossen sind. Man muss jemanden suchen, der sie einem aufschließt. Das wiederum kommt dann einem Lottogewinn gleich. Eines meiner Kinder bekommt schon Panik bei dem Gedanken, jemals in der Schule aufs Klo gehen zu müssen. Dafür sind sie dann wohl auch immer sauber. Die Problemthemen an der Weiterführenden Schule sind nun andere als Juul&Co. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass man als Mutter nach dem siebten Amok-Alarm mit SEK-Einsatz irgendwann doch gelassen bleiben könnte – man kann. „Hurensohn“ etc. gehört neben reichlich anderen haarsträubenden Geschichten zum Sprachgebrauch der Kinder – Leider! Da ist man dann wieder als Eltern gefordert. Was auch Anlaß zur Sorge bieten kann, sind die Stunden die entfallen. 33% Unterrichtsausfall. Das wird dann meist durch vertrendende Lehrer aufgefangen, indem bereitgestellte Unterrichtsmaterialien bearbeitet werden, aber eben ohne entsprechenden Unterricht. Ein weiterer Minuspunkt ist sicherlich die 33minütige Busfahrt zur Schule, oder eben zurück. Die Busse sind brechend voll wie Schweinetransporter. Es gibt bei weitem nicht für jedes Kind einen Sitzplatz. Was die jüngeren Kinder da über sich ergehen lassen müssen ist schon am Rande von Gut und Böse. O-Ton Kind: “ Weißt Du Mami, die Schule wäre ja noch ok, wenn diese blöde Busfahrt nicht wäre. Wenn man die übersteht, dann ist es nicht mehr so schlimm…“ Zum Glück haben wir eine Schulleiterin, die viele Fähigkeiten in sich eint. Einst war es mein Traumziel, Lehrerin zu werden. Ich bin froh, dass ich es nicht geworden bin. Viele bekommen kein Gehalt, sondern Schmerzensgeld.
Oh Gott, danke für Deinen Kommentar. Da wird mir so übel. Ihc bin kurz davor eine eigene Schule zu gründen…
Gab es denn eine Reaktion auf den Brief? Wurde das Schulamt/Stadt/Land wer auch immer darübersteht informiert?! Nein, es läuft nie rund an einer Schule. Es stimmt. Aber es läuft insgesamt immer unrunder. Das ist echt blöd für die Kinder. Ich sehe das leider auch immer wieder. In den Kitas und Horten gibt es ähnliche Probleme.
Aber wie schön, dass Sam jetzt gerne in die Schule geht.
LG Anni.
Es gab Gespräche mit dem Schulamt. Aber auch die haben keine Wirkung gezeigt.Es haben sich andere Eltern wesentlich mehr als ich in jede Versammlung eingebracht und wirklich jeden Steiun umgedreht. Aber alles lief ins Leere. Und es ist einfach kein Einzelfall… und dann streicht man irgendwann die Segel….