„Mama, es gebt gute Mäuses und böse Mäuses, oder?“ Ich bin im Tiefschlaf. Woher kommt nur diese Frage? Ach so, ja, Sam steht neben unserem Bett.
„Komma her“, murmele ich verschlafen und ziehe ihn zu mir unter die Decke. Er kuschelt sich an mich und wiederholt seine Frage. Ich schiele auf die Uhr, während ich versuche einen sinnvollen Satz zu formulieren: „Mäuse sind eigentlich immer lieb. Die haben mehr Angst vor uns als andersherum“.
Die Uhr sagt 2.14 Uhr. Oh Gott, hoffentlich schläft er gleich wieder ein. Sam kuschelt sich an mich. Ich höre, wie er geräuschvoll an seinem Schnuller saugt. Das ist kein gutes Zeichen. Er denkt.
„Mama“, flüstert mir Sam ins Ohr so leise wie kleine Kinder eben flüstern, „kann Gewitta ächte Mensche tot machen?“ Oha! Ich bin schlagartig wach, als ob ich eine kalte Dusche genommen hätte. Vorsicht, was du jetzt sagst, Lucie! Ich will ihm eine gute Antwort geben, ohne dass er einen Schreck kriegt und gar nicht mehr schlafen kann. „Im Haus sind wir immer sicher, mein Schatz. Schlaf jetzt, ok?“ Ich ziehe ihn noch näher an mich ran. Das funktioniert meistens. Heute nicht.
„Aba, wenn wir nich im Haus sind?“, hakt er nach. Ich merke schon, das wird kein kurzes Gespräch. Und ich will ja auch, dass er solche Themen mit mir bespricht. Der Zeitpunkt für dieses Gespräch ist nicht ideal, aber wann soll er das denn auch mit mir besprechen, soviel wie ich gerade unterwegs bin? Mein schlechtes Mama- Gewissen ist sofort parat und sehr willig, sich zur Verfügung zu stellen: Das arme Kind! Mutter zu viel unterwegs, darum weiß er nicht wie Gewitter funktionieren!! Eine Karriere als Fernsehmeteorloge ist jetzt schon versaut!
Ich versuche mich einigermaßen wach zu bekommen und mich dem Thema Gewitter zu widmen. Was ehrlich gesagt gar nicht so einfach ist. Und das liegt nicht nur an der Uhrzeit. Auch mein Ehrgeiz ist jetzt geweckt geworden und will mitmischen, und so versuche ich in meinem Gedächtnis nach Material zu kramen, das ich zu dem Thema damals in Bio (oder war es Erdkunde? Physik?) gelernt habe.
Sam findet meine Erklärungen alle nicht befriedigend. Er will nur wissen, wieso „ächte Mensche auch tot“ sind, wenn der Blitz kommt, alle anderen Ausführungen interessieren ihn nicht. Nachdem ich mich 25 Minuten lang mit total bescheuerten Erklärungen gewunden habe, schaltet sich Marc ein, der bis eben noch vollkommen reglos neben uns lag: „Sam, ich habe ein Buch dazu. Das zeige ich dir MORGEN! Es ist jetzt mitten in der Nacht!“
Das war zwar nett gemeint, nur Sam will das Buch JETZT sehen: „Sind da ächte Menschen tot drin?“ Marc stöhnt genervt und dreht sich wieder auf die Seite. Na vielen Dank auch, das darf ich jetzt ausbaden.
Nach weiteren 20 Minuten habe ich Sam soweit, dass es kein Buch zu lesen gibt und das wir jetzt mal versuchen zu schlafen. Mein schlechtes Mama-Gewissen ist bereits nach Hause gegangen, der Ehrgeiz schnarcht schon wieder. Nur Sam ist noch wach und zwar so richtig. Vom Gewitter sind wir jetzt bei den pinken Turnschuhen angekommen, die er gestern im Schaufenster gesehen hat: „Mama, wann darf ich pinke Sneaker habe?“ Schön, dass mein Sohn seinen eigenen Modestil hat. Nur wir haben mittlerweile 3.49 Uhr. Und bei mir ziehen Kopfschmerzen hoch.
Um 3.54 Uhr zieht Marc auf die Couch, um 4.12 Uhr schnauze ich Sam an: „Es reicht! Ich will jetzt schlafen. Alles weitere MORGEN!!!“ Mir doch egal, ob er Chefmeteorologe oder der nächste Jean-Paul Gaultier wird.
Um 9.30 bringe ich ihn völlig gerädert zur Kita: „Wilde Nacht“, murmele ich dem Erzieher zu: „Habt ihr gerade das Thema Gewitter in der Kita?“ „Ja“, lautet die lapidare Antwort, „das nehmen wir gerade ausführlich durch. Und Sam kann das schon richtig gut erklären, wie alles funktioniert.“
Oh, ich könnte ihn kneifen! Während ich davon ausgehe, dass ich ihn vernachlässige, hat er einfach mein Wissen getestet! Ich gehe erst mal einen Kaffee trinken und wieder denke ich: Lucie, atmen, um seine Zukunft musst du dir keine Sorgen machen.
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Oh mann, ich bewundere Dich! Um diese Zeit würde ich wie Dein Mann reagieren. Wünsche Dir eine gute Nacht