Der Alltag mit einem Kind, das krank ist, ist auch in London nicht glamouröser als in Berlin oder sonst irgendwo auf der Welt. Was mich allerdings immer wieder fasziniert ist, in welcher Geschwindigkeit ich klaustrophobische Zustände bekomme. Das ist wie ein chemischer Prozess, wie eine Kettenreaktion, der ich gebannt zusehe.
Das Ganze läuft fast immer gleich ab, nämlich so:
Sam hustet in der Nacht, liegt bei uns im Bett, klebt an mir, tritt mich, beschwert sich, dass er „nish genug Platz“ hat. Dabei sind es Marc und ich, die fast aus dem Bett fliegen. Mein Hirn fängt sofort an zu rotieren: „Ok, ok, ok, was ist Plan B, wenn Sam morgen krank ist und ich ihn nicht im Kindergarten abwerfen kann?“ Marc sitzt am nächsten Tag meist schon wieder in irgendeinem Flieger, das heißt ich greife zu meinem Handy und schreibe unserer armen Babysitterin nachts um 3. 10 Uhr eine SMS, ob sie am nächsten Tag Zeit hat. Die Antwort kommt verrückterweise prompt: „Unfortunately not“. Verflucht, verflucht, verflucht.
Ich gehe meine Termine durch: Telefonkonferenz um 11 Uhr mit Hamburg, da muss Sam dann eben Pepa Pig auf dem IPad schauen. Dummerweise dauern die Folgen immer nur 5 Minuten und dann fragt er mich: „Mama, darf ish noch eine gucken?“ Ich kann aber während einer Telefonkonferenz nicht im Takt von 5 Minuten nach neuen Folgen suchen. Note to myself: Morgen als Erstes eine lange, SEHR lange Folge von Pepa Pig finden.
Aber was ist mit den 67 Emails, die beantwortet werden müssen, mit dem Zeitplan, der dringend für die Lesereise aufgestellt werden muss und die Kolumnen für die FREUNDIN, auf die in der Redaktion sehnsüchtig gewartet wird? Ab Ende März bin ich Kolumnistin bei der FREUNDIN (Kreisch! Freu!!!) und ich will ja nicht schon vor der Premiere mit verspäteter Abgabe glänzen. Mittlerweile ist es 5 Uhr, Sam hustet mir ununterbrochen ins Ohr. Note to myself: Wenn du jetzt nicht schläfst, wird der Tag noch unerträglicher. Ich versuche zu schlafen.
Um 5.40 erklärt Sam die Nacht hustend für beendet: „Ish will aufstehe!“ Ich fühle mich wie vom Lastwagen überrollt und wanke in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Sam hustet sich die Lunge aus dem Hals und kuschelt sich aufs Sofa. Okay, er ist jetzt offiziell krank. Während ich Kaffee mache, spüre ich, wie sich eine Eisenkette um meinen Fuß wickelt. Die Kugel am Ende der Kette ist in Sekundenschnelle geschmiedet. Wahnsinn. Wir haben noch nicht einmal 6 Uhr morgens, noch ist nichts passiert, aber ich kriege schon die Klamotten, habe panische Fluchtgedanken und fühle mich wie nach 8 Monaten Isolationshaft.
„Lucie“, rede ich laut mit mir selber, „jetzt mach mal easy. Sam ist 4 Jahre alt, er ist kein Säugling mehr, der 24 Stunden volle Betreuung braucht. Er spielt auch sehr glücklich mal eine Stunde mit sich allein. Und ein paar Folgen Pepa Pig mehr oder weniger werden ihn auch nicht nachhaltig schädigen.“ Es hilft nichts. Das Gefühl von Eisenkette und Mutterseelenallein bleibt. Ich muss doch funktionieren! Ich habe doch alles geplant! Wieso macht denn mein Kind nicht mit??
Telefonkonferenz und Emails verlaufen dank Pepa Pig und Sam, der sehr glücklich alleine LEGO spielt, verblüffend gut. Das Einzige, was stresst, ist der Kontrollfreak in mir. Aber meine schlechte Laune hat leider die Oberhand. Und ich bin müde von der Nacht und von meinem Gedankenkarussell. Um 14 Uhr ist Sam auch leer gespielt und nölig. Wir sitzen beide etwas erschöpft in seinem Zimmer. Draußen und in unserem Gästezimmer regnet es „cats & dogs“, wie man so schön sagt. Der Sturm lässt die Bäume schwanken und unsere Fenster klappern. Wie war das noch, als Sam ganz klein war? Was war damals das Einzige, was mich aus der schlechten Laune geholt hat? Vor die Tür gehen! Richtig!
„Sam“, sage ich, „wollen wir raus und ins Dino Museum gehen?“ Er sieht erst aus dem Fenster, dann zu mir und sagt: „JAAA!“. Wir fliegen fast ins Museum so stark ist der Wind. Sam hustet glücklich alle Dinos an. Die können sich ja zum Glück nicht mehr anstecken. Wir sehen uns Vulkan-Nachbildungen und den ausgestopften Komodowaran an und lassen uns vom T-Rex anbrüllen.
Hier könnt ihr Euch auch vom T-Rex anbrüllen lassen
Mit großer Erleichterung entdecke ich, dass es auch im Natural History Museum reinregnet und überall Eimer herumstehen. Beruhigend, dass es nicht nur bei uns so ist. Um 17 Uhr kommen wir beide abgelenkt und glücklich wieder nach Hause.
„Mann, Mann Lucie“, denke ich, “das nächste Mal nimmst du dir die Eisenkugel und gehst damit auf den Spielplatz kicken…!“
P.S. Nach über einem Jahr habe ich es auch mal geschafft meine „Private Lucie“ Seite zu aktualisieren… es hat sich ja einiges getan…wer up-to-date sein möchte, bitte hier entlang.
Tags: London Perfektionimus
5 Comments
ich kann dir dieses klaustrophobische Gefühl sehr gut nachempfinden…nur hab ich noch nicht mal nen kränkelnden 4jährigen sondern hadere noch mit der Kinderfrage*seufz
Liebes Germangreeneyedmonster, (geiler name!)
Ja, ich habe auch lange gehardert… meine ganz persönliche und völlig subjektive Erfahrung: Ich habe mehr bekommen, als ich abgeben musste. Und man darf zwischendrin auch mal laut SCHEISSE brüllen und sich alten tagen zurücksehnen. Meistens vergesse ich alte Tage aber relativ schnell, wenn mir mein kleines Monster einen nassen Kuss gibt und sagt: „Ish lieb dish mehr als Starwars.“
Herzliche Grüße und manchmal ist es ratsam, den Kopf nicht zu sehr walten zu lassen….ist aber auch meine subjektive Erfahrung….
Lucie
Hmm….. Leider brüllt da bei mir kein TRex….. Link kaputt?
Kenne das auch! Zur Zeit brütet die Kurze auch was aus und hat heute die 2 Stunden im Ikea durchgehend gebrüllt. Dabei sollte der Besuch eine Erholung sein von dem Kistenchaos zu Hause. Wir sind grad von Irland wieder nach Deutschland gezogen (auch 6 Monate für den Job meines Mannes) und es ist kein Platz zum Bobbycar fahren und wenig Zeit zum Buch vorlesen. Die letzte Nacht habe ich mit Kotzwäsche wechseln verbracht. Wenn sie jetzt noch ernsthaft krank wird, krieg ich Schnappatmung!
Du siehst, ich leide mit dir!
Und ich mit Dir! Und jetzt check ich mal was mit den T-Rex los ist! Vielleicht dachte er, das Du jetzt nicht auch noch angebrüllt werden musst…. Hold the flag high!!
Komisch bei mir funktioniert der Link. Was für nen Computer hast Du denn?