Was seht ihr auf dem Foto? Ein LEGO Flugzeug? Vielleicht ein Wasserflugzeug von LEGO? Oder ist es eine Brücke mit einem eingeklemmten Flieger? Alles falsch.
Ihr seht hier ein Spaceshuttle von der „dark side“. Der schwarze Legostein oben in der Mitte ist Darth Vader. Der rote Legostein ganz links außen ist Darth Maul. Der Hund gehört zu General Grievous, den man aus dieser Perspektive nicht sehen kann. Er klemmt als blauer Stein hinter dem Hund. Bei Star Wars gibt es keinen Hund? Jetzt schon. Sam hat dieses Spaceshuttle gebaut und dabei über eine Stunden lang Geschichten erzählt. Flüsternd, weil „du darfs das nish höre, Mama! Das ist nur für die dog von General Grieves!“
Wir haben gerade Mid-term (also eine Woche Schulferien) und auf einmal gibt es wieder so etwas wie Leerlauf. Und auf einmal ist Zeit für so etwas wie Kreativität. Sam ist sehr kreativ. Wie alle Kinder. Aber Kreativität braucht Raum und Leerlauf und die Möglichkeit sich auch mal zu verrennen. Seit wir in London sind, gab es davon nicht so viel. Wobei die Stadt selber „surprisingly child friendly“ ist, um einen schwedischen Vater in Sams Kindergarten zu zitieren. Das ist sie tatsächlich.
Der tägliche Umgang mit Kindern ist inspirierend. Wie zum Beispiel der indische Busfahrer, der auf uns wartet, als Sam sich mit seinem Scooter in eine Pfütze gelegt hat und erst mal getröstet werden muss. Oder die ältere Dame, die uns im Bus gegenübersitzt. Nachdem Sam sie zum dritten Mal aus Versehen mit den Füßen gekickt hat und ich ihn anmotze „Pass jetzt endlich auf“, sagt sie ganz gelassen: „That’s quiet allright, Luvely. Life is too exciting to sit still!“ Wie recht sie hat.
Aber das Kindergartensystem ist schwierig, denn die Kleinen werden dort auf die Schule vorbereitet. Nach englischem System müsste Sam im September in die Schule. Da wäre er viereinhalb. Der Kindergarten folgt darum einem straffen Regiment. Jede Minute muss effizient ausgenutzt werden. Sam kann seinen Namen schreiben und mir genau sagen, ob das Wetter „cloudy with a little bit of rain“ oder sunny with some clouds“ ist. Die Angebote der Kita sind toll: Yoga, Französisch, Ballett, Science und so weiter. Nur gibt es keine Pausen. Sam stand gestern in einer Darth Vader Verkleidung vor mir und führte mir sein Plié vor. Herrlich, aber das gibt es nur, wenn auch Platz für Darth Vader look-alike ist.
Mich beschäftigt das Thema sehr. Mich beschäftigt es natürlich so sehr, weil Sam abgebissene Fingernägel hat und nachts von Alpträumen gequält wird.
Seit er Ferien hat, spielt er wieder. Und malt wieder. Dafür war in den letzten Wochen kein Platz, kein Raum, keine Zeit, keine Lust, keine Kraft. Na klar, wenn man von 9 – 15 Unterricht hat – der kann noch so spielerisch sein -, dann ist man im Eimer. Und das geht nicht nur Sam so. Die anderen Mütter berichten dasselbe. Und ich frage mich, warum wir unsere Kinder so hetzen? Und wohin?
Besser und auch um einiges unterhaltsamer als ich hat das Sir Ken Robinson bei einer TED ED Konferenz auf den Punkt gebracht. Seine Rede dauert 20 Minuten, aber BITTE nehmt euch die Zeit. Sie ist irre komisch, tief bewegend und wahnsinnig clever.
Aber trotz Alpträumen und abgekauten Fingernägeln hat es Sam geschafft, eine sehr subtile, subversive kleine Rebellion gegen die Struktur des Kindergartens anzuzetteln: Er weigert sich, identische Socken zu tragen. Mir ist das egal. Ich selber habe mich seit meinem vierten Lebensjahr selber angezogen und Vivienne Westwood war im Vergleich zu mir eine alte Spießerin.
Als mich die Mütter seiner Freunde Avi und Jimmy ansprachen, ob ich wüsste, warum sich ihre Jungs weigerten, identische Socken anzuziehen, wusste ich, dass die Sockenrebellion bereits Früchte getragen hat. Und sogar die Kindergärtnerin Amanda kommentierte das bunte Sockengemisch ganz lakonisch: „Pipi Longstocking never wears identical socks! And she is really cool!“ Da ist sie wieder, die englische Leichtigkeit. Ich wünschte nur, sie würde ein bisschen auf das System abfärben.
P.S.
Vergangene Woche war ich in der Ausstellung des Fotografen David Bailey. Ein Zitat von ihm ist mir im Kopf hängengeblieben: „Einer der wichtigsten Tipps habe ich von Salvador Dali bekommen: Ein Kreis muss nicht zwingend rund sein.“
Tags: Erziehung London
8 Comments
Abgekaute Fingernägel? Oh jee. Armer Sam, arme Lucie!
Krass, dass da schon im Kindergarten so auf die Schule vorbereitet wird! Mir graut auch schon vor der Schule. Hier in Holland fängt die mit 4 an, nix Einschulung, am Tag nach dem 4. Geburtstag geht’s nicht mehr in die Kita, sondern in die Schule (in den 2 Wochen davor geht das Kind immerhin zur Eingewöhnung regelmäßig mit Mama oder Papa in seiner zukünftige Klasse schnuppern). Zwar ist es eher eine Art Vorschule, wo noch gespielt wird, aber Lesen und Schreiben lernen die Kinder dort auch. Muss nicht sein, finde ich…aber was soll man machen?!
Zum Glück hab ich noch knappe 2 Jahre, um mich an den Gedanken zu gewöhnen..
Viele Grüße aus Holland,
Kristine
Liebe Kristine,
ich dachte die Holländer seine relaxter! So kann man sich täuschen. Tja, was man machne soll? Gute Frage. Eigenen Schule gründen? Einfach nicht mitmachen? Ich weiß es auch nicht, aber es einfach alles weiterlaufen lassen fühlt sich auch komisch an.
Liebe Grüße von Lucie ratlos
Liebe Lucie,
das hört sich tatsächlich alles sehr stressig an und ich verstehe wirklich nicht, warum das nötig ist. Wann, wenn nicht in diesem Alter sollen unsere Kinder denn spielen ? Mein Sohn wurde im Januar 5, kommt nächstes Jahr, also mit 6 + 8 Monaten in die Schule – und darüber bin ich sehr froh. Ich finde auch die Einschulungsuntersuchung mit 4 etwas zu frueh und den danach folgenden Hype bzgl. Ergo & Logo voellig uebertrieben. In diesem Sinne, ich kuemmer mich jetzt mal um die Playmobil Ritter……
LG Alexandra
Liebe Alexandra,
Das ist ein Spitzenalter, um mit der Schule anzufangen! Interessanterweise ist das ja auch wissenschaftlich anerkannt. Frage nur: Warum machne soviel das Gegenteil??
Lieben Gruß
Lucie
Yay fuer Pipi Langstrumpf. Meine Schwester war auch immer mit zwei verschiedenen Socken unterwegs. Meine Mutter musste sich immer anhoeren, dass sie da strenger sein muesste, dass das ja nicht ginge, wie es denn aussehen wuerde usw. Allerdings meinte meine Mutter immer, dass man manche Schlaechten nicht kaempfen muesste. Don’t sweat about the small stuff.
Liebe Miriam,
irre, strenger sein wegen SOCKEN?? Als ob das jemandem wehtut oder schadet!
Ich glaube ich fange bald an verschiedenen Schuhe zu tragen. Einfach nur so!
Lieben Gruß
Lucie
Mir auch voellig unverstaendlich, aber auf dem Dorf ist es wohl manchmal anders.
Die Schulsache ist in der Tat schwierig. Unser Zwerg wird naechstes Jahr vier (Ende August) und muesste dann zum 1. September in die Schule, einer der absolut juengsten. Will das eigentlich ueberhaupt gar nicht, und wir sind gerade dabei herauszufinden, ob wir ihn nicht einfach ein Jahr laenger in der Krippe lassen koennen.
Dann waere er auch gerade erst fuenf, wenn es los geht. Und selbst das faende ich immer noch jung. Vielleicht schaffen wir bis dahin ja auch den Absprung nach Deutschland zurueck.
Ach Du Arme! Schwierig, schwierig, schwierig. Es geht wohl mit Attesten. Ich habe neulich mit einer Schweizerin hier in London gesprochen, die vor dem selben Dilema steht. Und sie überlegt den Weg zu gehen. Mein Gott, ich habe immer geschimpft, dass die Berliner jedes Kind mit 6 Jahren in die Schule stecken wollen. Das finde ich zwar nach wie vor falsch, aber das ist ja gerade zu Wellness im Vergleich zu dem Programm hier.