Habt ihr einen Knall?“, müssen sich Freunde von mir aus Hamburg anhören, die ihren 4-jährigen Sohn morgens alleine in die Kita gehen lassen. Liam muss die Straße runter und einmal um die Ecke. Wenn er angekommen ist, schreibt der Kindergarten eine SMS.
Finde ich sie auch irre? Würde ich Sam alleine zur Kita gehen lassen? Ich will nicht in das gleiche Horn blasen und lasse es erst mal sacken, kriege aber alleine beim Gedanken Sam alleine aus dem Haus zu lassen zugegebenermaßen Schweißausbrüche. Andererseits finde ich sie aber auch echt cool und bin ein bisschen neidisch, dass sie so cool sind.
Sam müsste zu seiner Kita über drei große Straßen mit Ampeln. Die Ampeln haben allerdings so eine bescheuerte Taktung, dass sie immer, wenn man gerade die Mitte der Straße erreicht hat wieder auf Rot schaltet. Sam steht dann immer wie angewurzelt da und will wieder zurück auf den Bürgersteig. Er würde wahrscheinlich bis 16 Uhr hin und her laufen und nie in der Kita ankommen. Aber mal abgesehen vom Weg – würde ich ihn alleine zur Kita gehen lassen?
Ich frage bei meiner Mutter nach, ob ich denn alleine zur Kita gelaufen bin. „Na klar“, lautet die Antwort. „Und wie alt bin ich da gewesen?“ „Vier“. Aha. Ich musste zwei kleine Straßen überqueren und dann bei einer großen Straße über den Zebrastreifen. Meine Mutter hat am Fenster gestanden bis sie mich nicht mehr gesehen hat. Wenn ich angekommen war, rief der Kindergarten bei uns an. Meine Mutter hatte mir eingebläut, dass ich mich nicht ansprechen lasse soll und mit niemanden mitgehen darf.
Einmal habe ich vor mich hingeträumt und bin aus Versehen in eine kleine Straße abgebogen. Ich saß auf der Parkbank und habe überlegt, wie ich zum Kindergarten komme. Ein Mann sprach mich an, wahrscheinlich um mir zu helfen, und ich habe ihn entrüstet angeschrien: „Lesen Sie keine Zeitung??“. Ich habe die Geschichte damals sehr stolz meiner Mutter erzählt und als sie mich fragte, wie ich auf die Antwort gekommen sei, sagte ich: „Na, da steht doch drin, dass man sich nicht ansprechen lassen darf.“
Ich bin keinen Schritt weiter und habe noch immer keine Antwort. Also: Bin ich total überfürsorglich oder haben sich die Zeiten einfach geändert? Mehr Autos, mehr Irre? Mmhh, was meint ihr? Gehen eure Kinder alleine zur Kita? Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten!
Tags: Erziehung Kita
11 Comments
Habe soeben fast meinen Kaffee auf den Bildschirm geprustet – Lesen Sie keine Zeitung?? – sehr coole Reaktion!!
Wenn die Kita meiner Tochter wirklich um die Ecke sein sollte, würde ich sie alleine gehen lassen. Muss ich aber durch die halbe Stadt fahren oder sie muss weiter als einen Katzensprung laufen, würde ich sie wohl nicht gehen lassen… Schon bei dem Gedanken setzt bei mir die Atmung aus.
Ich bin früher auch alleine zur Kita gelaufen bzw. nach hause, habe auf dem Weg noch Blümchen gepflückt. Ich bin aber in einer Kleinstadt groß geworden, beschaulich, nett, wie auf dem Dorf. Vielleicht haben sich ja wirklich die Zeiten geändert…?
Ich bin auch alleine in den Kindergarten. Ich musste allerdings gar keine Straße überqueren. Raus aus der Tür, um das Haus rum und rein in den Kindergarten. Meine Oma (da wohnte ich damals) konnte aus ihrem Schlafzimmerfenster alles sehen. Im Idealfall hat mich noch mein Kindergartenfreund runtergeklingelt. Der musste vom Haus gegenüber über die Straße kommen.
Als ich im Kindergarten war, haben wir uns den ganzen Nachmittag draussen rumgetrieben. Ich war nur zum essen zu Hause, „wenn es dunkel wird“ war die Zeitangabe. Bolzplatz, Wohnung bei Oma oder Kindergartenfreund, Tiefgarage oder der riesige Park/Wald/irgendwiesowas (damals noch der Übungsplatz für die „Amis“), dass waren meine Aufenthaltsorte.
Meine Tochter konnte gar nicht allein in die Kita, denn sie hätte die Tür nicht aufbekommen. Da ist schließlich ein Nummernschloss und das auch noch ausserhalb der Reichweite von Kindern.
Generell würde ich sagen: Ich hatte als Kind viel mehr Freiheiten als meine Tochter heute. Und ich finde es manchmal sehr schade, dass ich ihr die nicht genau so geben kann, wie ich sie hatte. Aber ich arbeite da an mir. Immerhin geht sie allein zur Schule und kann sich den Nachmittag in unserem ziemlich großen Hof um die Ohren schlagen.
Und ja, ich finde, wir betüdeln unsere Kinder viel zu sehr. Mehr Irre gibt es übrigens definitiv nicht. Zumindest statistisch gesehen sind sexuelle Übergriffe auf Kinder zurück gegangen. Und auch statistisch gesehen finden die meist innerhalb der Familie statt…gleiches gilt für tödliche Unfälle im Straßenverkehr (zumindest für Berlin), auch da sind die Zahlen der tödlich Verunglückten im Vergleich zu vor 10 Jahren deutlich niedriger. Aber meistens nimmt man halt doch nur das auf, was man so in der Zeitung oder – noch schlimmer – auf Facebook oder in Foren liest…
Hallo,
ich selbst bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, ohne Ampeln und ohne Autos 😉 Da war das natürlich kein Problem.
Was anderes ist es allerdings, wenn man drei große Straßen mit Ampeln überqueren muss. Das finde ich persönlich zu viel für einen Vierjährigen.
Ich finde, Kinder in diesem Alter sind allein noch nicht wirklich verkehrstauglich, die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung reichen da einfach noch nicht, Kinder lassen sich zu leicht ablenken. Und aus der Mini-Perspektive sieht die Welt ganz anders aus, der Überblick fehlt, man übersieht vieles und wird als kleines Persönchen leider auch zu oft übersehen. Es kommt also immer auf die Umstände und auf den Weg drauf an, ob man es seinem Kind zutrauen kann oder nicht. Und als überfürsorglich gelten wir doch heutzutage sowieso alle 😛
Verhätscheln, das würde meine Großmutter auch über ihre Kinder und Enkelkinder sagen, wie auch deren Großmutter zu Kaiserszeiten.
Natürlich haben sich die Kinderwelten geändert. Mein Sohn (12) gerät in Panik, wenn er nicht sein Handy mit dabei hat. Und ein Leben Offline wäre für ihn undenkbar.
Während ich noch Stunden lang im Wald Baumhäuser und Staudämme baute, ohne je gemaßregelt zu werden, weder vom Förster, noch von meinen Eltern, verabredet sich mein Sohn online zum Skypen mit seinen Urlaubsbekanntschaften aus HH und A’dam. Wenn er jetzt im Wald anfängt Staudämme zu bauen, wird er vom Beauftragten vom NaBu und/oder vom Förster gemaßregelt, er darf auf den Abenteuerspielplatz oder in den Klettergarten, aber der Wald ist inzwischen für ihn als Spielwiese tabu. Wollten wir das?
Ich lernte die Gefahr von Zecken erst im Studium kennen, mein Sohn läßt sich nach jedem Outdoorevent gründlich nach Zecken absuchen.
Die Risiken haben sich geändert und damit auch unser Sicherheits- und Schutzvorstellungen.
Noch was hat sich geändert, wenn wir telefonierten oder auf die Kirmes gingen liefen wir nicht Gefahr uns zu verschulden, das Leben in den Kinderwelten war bezahlbar.
Die Kinderwelten werden ökonomisiert…. Verhätscheln geht anders, oder!
Meine Tochter ist auch mit 4 jahren durch den Prenzlauer Berg alleine zur Kita gelaufen.. über 2 Ampeln.
Allerdings war das nicht meine Idee, sondern ihre. Sie wollte unbedingt und dann bin ich eben am Anfang heimlich hinterher geschlichen.
Zur Schule geht sie jetzt meistens auch alleine. Aber wenn ich mal mitgehe, dann sehe ich lauter Eltern, die ihren Zweit- und Drittklässlern die Ranzen bis in den Klassenraum hochtragen.
Das finde ich viel schockierender.
Mein Sohn (inzw. 8 Jahre) ist in Hamburg geboren und auch die ersten 6 Jahre aufgewachsen. Er wollte mit 4 Jahren auch das erste Mal allein in den Kindergarten, der wirklich nur etwa 150 m entfernt auf der anderen Strassenseite war. Ich habe ihn gelassen, aber bin auch mit klopfendem Herzen auf dem Bürgersteig gestanden, bis er sicher hinter den Toren der Kita war.
Wir wohnen zwar inzwischen in einer kleineren Stadt ausserhalb Hamburgs, aber ich bringe ihn immernoch zur Schule, die jetzt auch 5 km entfernt ist. Den Ranzen würde ich ihm auch hochschleppen, denn 5 kilo für einen gerade mal 30 kg schweren Knirps finde ich heftig! Und darum nehme ich ihm den sooft wie möglich ab, wenn wir unterwegs sind.
Ich war zwar auch mit meiner Schwester allein unterwegs – morgens und nachmittags – aber wie meine Mutter das gemacht hat, weiß ich wirklich nicht. Wenn ich daran denke, was uns alles hätte passieren können auf dem Weg… Wir waren 6 und 3 Jahre alt…aber da waren auch noch nicht so viele Autos unterwegs – in der ehemaligen DDR… Aber kranke Menschen gab’s natürlich auch da…
Ohje,
das ist ein Abwägen mit einer Nanowaage. Kinder können superfrüh viel mehr, als wir ihnen zutrauen aber die Frage bleibt, ob sie das müssen?
Kinder können in dem Alter noch nicht Gefahren abschätzen und vorausschauend sein. Das ist defintiv zu viel verlangt, finde ich.
Aber wenn wir eine Formel dafür aufstellten, würden die Variablen vielleicht sein:
(Kindwillen+Elternloslassenkönnen-Kilometer) x Alter/ Tagesform=
Wer will ausrechnen?
Also wir wohnen direkt neben dem Kindergarten. Und da werde ich sehr wahrscheinlich trotzdem am Zaun stehen bis meine Tochter drinnen ist.
Gott sei Dank müssen wir als Oma und Opa solche Entscheidungen nicht mehr treffen. Ob die Welt heute gefährlicher ist als früher, glaube ich eher nicht, sie ist sicher anders. Und auch die Kinder sind heute anders, vielleicht sogar weiter. Was aber früher schon nicht ging und auch heute nicht funktioniert, ist, die Kinder unter eine Käseglocke zu stellen und sie vor allen Unbillen des Lebens zu schützen. Und allgemein verbindliche Allheilmittel gibt es schon gleich gar. So bleibt jeder einzelnen Mutter und jedem einzelnen Vater nichts anderes übrig, als für das eigene Kind abzuwägen, was das Beste ist, und dann zu entscheiden. Danach bleibt dann nur noch die Hoffnung auf den Schutzengel …
Meine Söhne habe ich immer zum Kindergarten begleitet, weil es mir auch wichtig war, die Erzieherinnen zu sehen, evtl. noch Dinge zu bereden, die wichtig waren. Oder einfach nur, um mitzubekommen, was gerade in der Gruppe lief, in Ruhe Aushänge zu lesen, Elternbriefe mitzunehmen, verloren gegangene Sachen wieder aufzustöbern. Dafür kamen die Söhne dann ab sechs Jahren allein nach Hause. Nur eine kleine, wenig befahrene Straße zu unserem Haus mußte überquert werden. Aber auch hierfür wurden sie von mir „überwacht“. Die ersten Male klappte alles, dann plötzlich gingen sie ganz andere Wege. Wir haben das dann regelrecht gemeinsam geübt. Und dann erst durften sie wieder alleine gehen. Heute fahre ich beide zur Bushaltestelle, denn dazu müßten sie eine vielbefahrene Landstraße ohne Ampel und Zebrastreifen überqueren. Ich habe mir das oft angesehen und finde das einfach zu gefährlich. Nach Hause kommen sie dann wieder alleine, weil der Bus auf dem Rückweg auf der Seite hält, wo man die vielbefahrene Landstraße nicht zu überqueren braucht.
Mein Kommentar kommt zwar ein bisschen spät, aber besser spät als nie … 😉 Wir wohnen in einem Dorf und die Kita ist auch noch direkt in unserer Straße, hier ist es also kein Problem. In einer Großstadt würde mir wohl auch mulmig werden (Mist, und ich hatte mich immer für eine lockere und coole Mum gehalten…). Aber ich denke, dass sollte jeder so machen, wie er sich selber wohl fühlt. Manche Mütter sind eben angstfreier, aber das muss ja nun auch nicht immer ein Vorteil sein… VG, Katha