Marc und ich waren das letzte Mal gemeinsam in Stockholm als ich im 4. Monat mit Sam schwanger war. Es war einfach nur herrlich: Wir beide mit dem noch nicht sichtbaren Sam in dieser unfaßbar schönen Metropole.
Am ersten Tag liehen wir uns Räder und fuhren damit über die zauberhafte Insel Djurgården, im Zentrum Stockholms.
Wir glotzten schönen Menschen hinterher und winkten den weißen Segelbooten, die vor der Insel kreuzten. Ein bisschen fühlten wir uns wie in einem Ralph Lauren Werbespot: Lauter gutaussehende, perfekt und geschmackvoll gekleidete Menschen.
Wir machten einen kurzen Stop im Café Ektorpet und aßen Bullar unter den Fliederbäumen mit Blick aufs Wasser.
Am Nachmittag schlenderten wir durch die Shoppingmeile Bibiliotheksgatan, shoppten im Luxuskaufhaus NK, und warteten den Regen ab beim späten Lunch in den Östermalshallen. Wir bewunderten die Architektur und den Lifestyle der Stadt und dachten nur: „Tolle Stadt! Auch mit Kindern!“
Abends saßen wir im japanischen Restaurant East am Stureplan und schlugen uns den Bauch mit frischem Fisch voll. Gut, nach so einem Tag in Stockholm ist man dann auch fast pleite (die Stadt ist so teuer wie schön), aber es war großartig.
Jetzt, fast vier Jahre später sind wir endlich wieder hier! Und dieses Mal mit Kind! Eins war klar: Wir wiederholen das ganze Programm einfach noch mal. Das Programm für diesen Tagestrip ist, wie Tante Liv sagt, „ein sicherer Klassiker“ und dann würde ich noch mal ein bisschen durch Södermalm schlendern und nach kleinen Boutiquen Ausschau halten. Ich liebe es, mich in fremden Städten treiben zu lassen und kleine Läden zu entdecken.
Also, auf geht’s. Marc und ich denken an den letzten schönen Trip und erzählen Sam, dass er damals noch in meinem Bauch war. Sam findet das wahnsinnig spannend, dass er eigentlich ja schon mal hier war. Er will wissen wie groß er war und zeigt auf ein ca. 6 Monate altes Baby. Als ich verneine und ihm meinen Daumennagel als Größenangabe zeige, schaut er mich etwas ungläubig an: „Das isse sehr sehr kleine Baby.“
Zum Glück sieht er die Fähre und ich muss nicht weiter in das Thema einsteigen. Wir hüpfen auf eins dieser „Hopp On – Hopp Off“-Boote und fahren auf die Insel Djurgården. Dort angekommen merkten wir, dass die Fahrradidee von uns nicht wirklich durchdacht war: Wo genau hatten wir denn gedacht, dass wir die große Tasche mit Sams Wechselwäsche, Wasserflasche, Sonnencreme, Snacks, Schnuller und Sicherheits-Windel (sollte er einschlafen) und den zwei Stofftieren („MUSS mit, Mama!!!!!“) hinpacken sollten? Fahrradräder mit Anhängern vermieten selbst die kinderfreundlichen Schweden leider nicht. Ach, was soll`s, denken wir draufgängerisch, wir wollen doch nur kurz nach Skansen und dann shoppen gehen.
Skansen ist tatsächlich für Kinder und Erwachsene gleichermaßen ein Traum. Es ist ein riesiges Freilichtmuseum, das zeigt, wie die Schweden vor der Industrialisierung gelebt haben. Wir laufen durch Häuser und sehen wie die Menschen früher wohnten und arbeiteten. Der Hit ist das Gebäude mit dem Kinderzoo: Von Meerschweinchen, über Fische bis hin zu Kakerlaken kann man sich hier alles anschauen. Dazwischen gibt es kleine Kletterburgen und Höhlen für die Kinder. Wir verbringen alleine hier eine Stunde und Sam will immer wieder die Kakerlaken zählen: „Habe eleven sehen, Mama! Sind süüüsss.“ Naja. Aber er ist glücklich. Und Marc und ich sind uns einig: Wenn er sich hier satt sehen darf, dann können wir bestimmt nachher in Ruhe durch die Läden schlendern.
Aber erst geht es noch zu den Gehegen mit den „Nordic animals“: Wir beobachten Wölfe beim Mittagessen, sehen Bären zu wie sie in der Sonne dösen und bewundern Rentiere beim Schlafen im Stehen.
Nach drei Stunden denken Marc und ich: „So jetzt sind wir dran.“ Sam ist natürlich anderer Meinung: „Wille noch kleine Baby-pigs sehe, Mama!“ Also gut, gönnen wir ihm noch die Ferkelchen, aber dann sind wir dran. Die Rechnung haben wir allerdings ohne Sam gemacht.
Nach den Ferkeln haben wir alle Hunger und setzen uns in eins der kleinen Restaurants, die überall auf dem Gelände verteilt sind. Das Essen ist schlecht und teuer (Kommentar von Tante Liv: „Das hätte ich euch vorher sagen können, dafür ist Skansen berühmt!“). Also, kleiner Tipp: Entweder Picknick mitnehmen und sich unter die lauschigen Bäume setzen, wie die meisten schwedischen Familien es tun, oder spätestens zum Mittagessen wieder draußen sein.
Nach dem Mittagessen will Sam aber noch unbedingt den Glasbläsern zusehen. Das wollen wir ihm ja auch nicht nehmen, allerdings sind Marc und ich mittlerweile etwas entnervt: Es ist heiß, Sam ist müde, wir haben schlecht gegessen und warte mal: Wir wollten doch auch was von der Stadt haben. Ich will doch noch zu NK und dann wollte ich doch noch durch die kleinen Läden schlendern. Ich will mir auch auf jeden Fall zum Andenken eine kleine Sache kaufen: Ein Armband oder eine Bluse oder ein Tuch…
Mittlerweile sind wir seit 5 Stunden in Skansen, zum Glück haben die keine Hotels, sonst wären wir da vermutlich nie wieder rausgekommen. Nachdem wir den Glasbläsern 30 Minuten zugeschaut haben, schläft Sam völlig übermüdet in seinem Buggy ein. Allerdings nicht ohne: „Will aber noch Seals sehen!!“ zu brüllen. Ich brülle zurück: „Die schlafen jetzt auch!“
Sobald Sam schnarcht, suchen Marc und ich schnellstmöglich den nächsten Ausgang. Wir schieben den schlafenden Sam zum Café Ektorpet und atmen erst mal durch. Bisher hat der Tag relativ wenig mit unserem Trip vor vier Jahren zu tun. Wie kamen wir eigentlich auf die bescheuerte Idee zu glauben, dass wir das Ganze einfach noch mal wiederholen könnten? Wir sind doch nicht erst seit gestern Eltern.
Im Café angekommen genießen wir den Blick aufs Wasser, trinken Kaffee, essen Muffins (Bullars sind ausverkauft) und reden in ganzen Sätzen miteinander. Wir wecken Sam nicht. Wir wissen, dass wir es heute Abend bereuen werden, aber wir wollen wenigstens die zwei Stunden in Ruhe aufs Wasser starren und quatschen können. Und vielleicht schaffen wir es ja doch noch, ein klitzekleines bisschen zu shoppen?
Als Sam aufwacht ist er quengelig, will ein Eis, dann doch keins. Wir machen uns auf dem Weg in die Stadt. Ich würde so gerne wenigsten in 2-3 Läden rein. Aber nachdem Sam bei Fillipa K sich die Nase an einem Seidenkleid abgewischt hat und bei NK darauf besteht, den lustigen Nagellacktrockner in Form einer Katze zu kaufen, brechen wir das Experiment ab. Wir hetzen durch die Bibiliotheksgatan und im Augenwinkel sehe ich die schönen Sommertaschen und bunten Kleider, die ich so gerne wenigstens mal anprobiert hätte, an uns vorbei ziehen. Mann, ist das gemein. Wir kommen verschwitzt und entnervt wieder bei Tante Liv an.
Was haben wir uns eigentlich dabei gedacht? Es ist ja fast schon rührend, dass wir allen Ernstes glaubten, mit Kind Stockholm noch mal genauso zu erleben wie ohne Kind. „Lucie, Lucie, Lucie“, denke ich, „ein bisschen schizophren bist du ja schon. Im Alltagsstress willst du gerne mehr Zeit mit Sam und wenn du sie hast, dann freust du dich wie Bolle, dass nächste Woche wieder Kita ist… Mmmhhh.“
Jetzt sind wir wieder in Berlin. Ein Mitbringsel haben wir mitgebracht: Tante Liv hatte uns einen Tag mit zu einem Mittelaltermarkt außerhalb von Stockholm genommen. Und Sam bekam von ihr einen Ritterhelm mit großer roter Feder. Das ist zwar nix für mich, aber was soll’s. In ein paar Jahren will mein Sohn wahrscheinlich sowieso nur noch mit seinen Freuden rumhängen und dann denke ich sehnsüchtig ans Kakerlaken zählen… alles hat seine Zeit.
P.S. Ich lese ja sehr gerne den Blog von Frau Mutter und habe da einen sehr passenden Eintrag zu dem Thema „Urlaub mit Kindern“ gefunden… Herrlich, dass es nicht nur mir so geht.
Tags: alles anders Nervensägen Reise
3 Comments
Versuchten mal mit unseren 2 Jährigen im Schwarzwald wandern zu gehen. Es regnete und meine Tochter versuchte sich die nervigen Regenklamotten vom Leib zu reißen. Wir landeten mit kreischendem, strampelnden und nacktem Kind auf einer Berghütte, an deren Eingang auf einem Holzschild folgender Spruch stand: „Urlaub mit Kindern ist Alltag unter erschwerten Bedingungen“. Dem ist nichts hinzu zu fügen.
Liebe Lisa, ich wünschte, ich hätte ein Photo von dem Schild! Das würde ich mir dann in meinen Koffer kleben…. falls ich noch mal Gefahr laufe in wirre Phantasien abzuschweifen… Deine Lucie
Ach welch schöne Bilder aus der alten Heimat…..danke für den link!!