Och, nö, Sam, nimm bitte die Gabel!“, pfeife ich meinen Sohn an, der gerade sein Bratwürstchen mit der einen Hand gepackt hat und beides in den Ketchup tunkt. Wir sitzen beim Abendbrot und sind beide müde. Er mustert seine Ketchup-Hand und wischt sie sich an der Hose ab. Auf seinem T-Shirt hat er keine freie Stelle mehr gefunden, das ist schon voll mit Eisresten und irgendwas Grünem. „Bitte nicht noch auf die Hose!!“ Ich bin fertig. Aber Moment: Erwarte ich gerade allen Ernstes perfekte Tischmanieren von einem übermüdeten Dreieinhalbjährigen?
Ich muss an unseren Restaurantbesuch von gestern denken.
Am Nebentisch sitzt da Familie Perfect mit Zwillingen in Sams Alter. Der Scheitel des Sohns sieht aus wie mit einem Lineal gezogen. Sein Poloshirt ist gebügelt und, warte mal, habe ich da an der Hose eine Buntfalte entdeckt? Seine Schwester sieht aus, als hätte man sie mit ihrem blütenweißen Kleid gewaschen und gestärkt. Anderthalb Stunden sitzen sie praktisch regungslos und blitzesauber am Tisch!
Wir wirken dagegen wie Familie Flodder. Marc’s ursprünglich sauberes Hemd ist vom Abend gezeichnet: Tomatenspritzer, als Sams Löffel in die Pasta fiel und leicht gelbliche Flecken, als Sam den Apfelsaft vor Lachen ausprustete. Mein weißes Hippiekleid hat, einem Einschussloch gleich, einen riesigen roten Fleck auf der linken Brust. Das war auch ein Tomatensoßen-Löffel-Unfall.
Wobei Sam ansonsten an dem Abend für sein Alter geradezu vorbildlich gegessen hat.
Ich finde es schön, wenn man Kindern zeigt, dass die Gabel einen so langen Griff hat, damit man sie auch da festhält und nicht mit den Fingerspitzen das Essen liebkost. Ich schaue auch nicht gerne zu, wenn ein Erwachsener mit beiden Ellbogen aufgelehnt über der Tischplatte hängt und sein Essen inhaliert.
Aber wenn Kinder wie dressierte Hündchen am Tisch sitzen, dreht sich mir der Magen um. Ich habe dann immer so einen unbändigen Drang mir eine große Flasche Ketchup zu schnappen und sie großräumig zu verteilen.
Es ist doch interessant, dass mein Wunsch nach Wachsfigurenkinder im übermüdeten und gestressten Zustand so überpräsent ist. Alles soll reibungslos funktionieren: Ich selbst, mein Sohn, die Spülmaschine, das Leben. Warum schaffe ich es so selten, in solchen Momenten genau das Gegenteil zu tun und einfach mal Fünfe gerade sein zu lassen, anstatt den Stresspegel zu erhöhen?
Diesmal habe ich es gemerkt: „Sam, schmier’ dir von mir aus Ketchup in Haare.“ Er lässt sich nicht zweimal bitten. Wir müssen beide lachen. „Du auch, Mama!“ Meinetwegen.
„Und jetzt in Badewanne!“, ruft er begeistert. Sehr gute Idee! Das wird auch die Mama entspannen.
Wie haltet ihr es mit den Tischmanieren? Ich freue mich über Tipps, Erfahrungswerte und Ketchup-Geschichten…
Tags: Erziehung Mutterwürde
3 Comments
Ich hasse Tischmanieren bei Kleinkindern.
Ich bin froh, wenn meine Söhne (3 und 1) überhaupt 5 Minuten am Tisch sitzen und was essen. Langes rumsitzen ist einfach nicht ihrem Alter entsprechend und mit ständigem mahnen über Tischmanieren versaut man sich bloß das gemeinsame Essen. Ich beobachte in meinem Freundeskreis, dass die meissten ihren Kindern das nur ständig beibringen aus Angst andere köknnten denken ihre Kinder wären unerzogen. Die Kinder können gerade mal Mama und Papa sagen und müssen trotzdem bei jedem kleinen Keks den sie bekommen brav danke sagen! „Was sagt man daaa???“ Ich hasse das. Ich mache meinen Kindern von Anfang an vor, dass man Danke sagt wenn man etwas bekommt und mein Großer macht es 1a nach. Abgucken bei den Eltern ist immer noch die beste Benimmschule für die Kinder, darüber sind sich viele Eltern nur leider nicht bewusst. Wir sehen am Ende des Tages jedenfalls alle 4 aus als hätten wir in der Kita zu Mittag gegessen… und das ist auch gut so. Mir würde etwas fehlen wenn nicht jeden Abend die Waschmaschine rumpeln würde und Ketchupflecken sind mir die liebesten! Ganz liebe Grüße.
Das ist eine sehr gesunde Einstellung, liebe Josi und etwas, an das ich mich täglich versuche zu erinnern. danke für den Kommentar!
Tischmanieren – da scheitern ja selbst viele Erwachsene daran, oder? 😉 Oder anders gegesagt – niemand ist immer perfekt.
Anyway – wir haben drei Kinder zwischen 9 und 4. Da geht es durchaus laut und trubelig am Tisch zu, aber – ich nehme die meisten Mahlzeiten mit den dreien alleine ein. Ich möchte mich unterhalten können, mit allen, ohne dass ich alle naslang ein Besteck aufheben muss, wegen umgekippter Gläser einen Lappen raushole, mir das Essen vom Schoß klaube, etc. Deswegen achte ich durchaus darauf, dass alle drei manierlich (im Rahmen ihrer Möglichkeiten…) essen und bin der Meinung – Ja, das geht. Das muss gehen. Dass der Mund zubleibt beim Kauen, man ihn vor dem Sprechen leert, die Serviette anstatt der Klamotten zum abwischen nimmt, davor und danach die Hände wäscht, man nicht mit den Fingern sondern mit Besteck ißt (ich schneide oder schmiere gerne, wenn Hilfe nötig ist), nicht kippelt, rumspringt/-klettert, der Arm statt des Ellenbogens am Tisch ist, usw usf.
Das liest sich jetzt erstmal wie ein Drillkatalog, ich weiß. Was bei mir aber z.B. keine Pflicht ist – aufessen. Man muss zwar alles probieren, ich kann aber nie 5 Personen immer glücklich machen und schau einfach, dass jedem etwas (oder alles) schmeckt. Man darf hier durchaus auch auf aufstehen, wenn man fertig ist und im Kinderzimmer spielen. Was mir auch immens wichtig ist, wenn wir Besuch mit anderen Kindern haben, ist, dass man sich auch als Erwachsener unterhalten kann, in Ruhe. Da sage ich durchaus zu meinen Kindern und den Besuchskindern, dass sie jetzt mal ins Kinderzimmer ‚abzwitschern‘ dürfen, damit wir Großen wenigstens mal 2-3 Sätze in Ruhe reden können. Und das wird absolut akzeptiert.
Wir wären immer die Familie mit den Soßenflecken im Restaurant, zumindest bei den Kindern auf den Shirts. 😉 Aber ich weiß, dass ich hingehen kann, ohne dass sich andere Gäste gestört oder belästigt fühlen und meine Kinder wissen, wie ‚man sich benimmt‘. Dass ist mir einfach wichtig, weil ich nicht anders fühle, wenn ich mal ohne Kinder unterwegs bin…