Sam ist jetzt fester Bestandteil der 5er Jungs-Gang in seinem Londoner Kindergarten: Ein Schwede, ein Japaner, ein Amerikaner, ein Inder und Sam. Das Markenzeichen der Truppe ist nach wie vor: Trage niemals identische Socken. Und wenn man sie gemeinsam im Kensington Garden herumrennen sieht, muss man sich um die Zukunft der Welt keine Sorgen machen. Sie sind alle auf ihre unterschiedliche Art und Weise so schlau und kreativ, dass ich ihnen oft neidisch bei ihren selbsterfundenen Spielen zusehe.
Der kleine Amerikaner Chris ist der Jüngste in der Bande. Er wird erst im Juli Vier. Aber im September heißt es für ihn Einschulung. Sein Hauptinteresse: Monstertrucks. Ehrlich gesagt kann ich mir Chris ohne einen Monstertruck in der Hand gar nicht vorstellen. Er scheint verwachsen mit diesen Dingern. Es ist sensationell, ihn dabei zu beobachten, was ihm alles damit einfällt. Zugegebenermaßen habe ich am Anfang gedacht: „Puh, ein Monstertruck. Wird das nicht langweilig auf die Dauer?“ Aber Chris hat mich eines Besseren belehrt. Bei ihm Zuhause kommt man kaum durch die Tür, weil die neue, selbstgebaute Rampe einmal quer durch den Flur reicht. Es sind atemberaubende Konstruktionen, die aussehen wie surreale, futuristische Skulpturen.
Wenn sich Chris mit anderen Dingen beschäftigen soll, dann zuckt er mit den Schultern und nach 3 Minuten hat man den Eindruck, er ist dem Tiefschlaf näher als dem Lernprozess. Es interessiert ihn einfach nicht. Ist das schlimm? Klares Nein.
Letzte Woche hatte Chris Mutter ein Lehrergespräch im Kindergarten. Zur Erinnerung: Chris ist 3 Jahre alt (in Worten DREI!!). Das wenig originelle Feedback an die Mutter: Chris interessiere sich nur für Monstertrucks. Für nichts anderes. Das solle die Mutter unbedingt ändern. Mit Zahlen würde er sich nur auseinandersetzen, wenn er seine Monstertrucks zählen dürfe. (Ja klar, alles andere macht ja auch keinen Sinn, oder??) Und auch an Farben sei er nur interessiert, wenn es um die Farben seiner Monstertrucks geht. (Leuchtet mir total ein). Tja, und die Mutter solle jetzt doch bitte die Monstertrucks mal ein bisschen aus dem Rennen nehmen, denn Chris würde ja im September in die Schule kommen und da müsse jetzt mal angezogen werden.
Chris Mutter erzählt mir von dem Gespräch, während unsere Kinder gemeinsam die Hügel im Kensington Garden rauf und runter rennen und die Monstertrucks dabei nur so durch die Luft wirbeln. Ich bin außer mir. AUSSER MIR!! Was für ein Eingriff in die Persönlichkeit! Was für eine Beleidigung! Was für eine Missachtung! Ganz zu schweigen davon, dass ich es unfassbar finde, einen Dreijährigen jetzt schon so einzunorden.
Wer weiß, was mal aus ihm wird? Vielleicht wird er dank seiner Rampenbautätigkeit das Verkehrschaos von L.A. in zwanzig Jahren endlich mal in den Griff kriegen? Vielleicht wird er den ersten Monstertruck konstruieren, der mit Limo fährt. Vielleicht wird er die schönste Werkstatt der Welt haben und bis ins hohe Alter nur unter der Motorhaube von Monstertrucks liegen. Oder er wird Germanistikprofessor auf Menorca? Was für eine Anmaßung, sich so über einen Dreijährigen zu äußern??
Was läuft bloß schief hier? Ich weiß gar nicht damit umzugehen. Meine Reaktion ist, mich jeden Morgen in der Kita extra laut und besonders lange mit Chris über seine sensationellen Monstertrucks zu unterhalten. Es ist wahrscheinlich lächerlich von mir. Aber ich kann es auch nicht einfach so stehen lassen. Ich glaube nächste Woche lasse ich mir ein T-Shirt drucken mit der Aufschrift: „I love MONSTERTRUCKS!“ und das trage ich dann einfach jeden Morgen.
Wer auch eins möchte, bitte schreiben. Es werden Vorbestellungen angenommen.
Tags: Erziehung Mütter
14 Comments
Hier! Ich nehm auch eins!!!! oder besser 2 – für meine Tochter auch sofort! Und dann machen wir eine Monstertruck T-Shirt Endlosschleife wie Ryan Gosling und Macaulay Culkin;)
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich am Freitag beim ersten Besuch „Eltern-Kind-Turnen“ – da hat sich jegliches Klischee bewahrheitet – da sich meine Tochter etwas über 1 1/2 nicht dafür begeistern konnte den Mattenberg zu erklimmen oder auf dem Trampolin zu springen wurde mir dringend zur Physiotherapie geraten… HALLO?
Ich habe dann beschlossen, dass diese Veranstaltung wohl nichts für uns ist – nur leider ist das bei einer Schule ja nicht ganz so einfach!
Genau richtig gemacht! Die haben ja wohl ein Rad ab. Vorbestellung ist aufgeschrieben!
Unfassbar!
Da fällt mir echt garnichts mehr zu ein, was bitte ist das denn für ein Erziehungsansatz???
Welcome to the UK kann man da leider nur sagen. Es ist nicht unüblich. Haben die vielleicht deswegen so einen guten schwarzen Humor?
Ich bin sofort dabei! Ich wollte schon IMMER eine Monstertruck-Shirt haben! Und für meinen Sohn auch eins! In Gr. 128! Wir machen ein Photo
von uns mit den Shirts und schicken es an Avis Kindergarten!
Und zu der Kindergärtnerin kann man nur sagen, die arme Frau kann offenbar vor Kraft kaum noch gehen…
Vorbestellung ist aufgeschrieben! Großartig!! 😉
Was ein Blödsinn….kein Wunder, wenn Kinder immer phantasieloser werden. Wenn das kleinste Bißchen kreativer „Spleen“ schon im Keim erstickt wird.
Aber die Zahl der Menschen, die glauben, einem sagen zu dürfen, wie man sein Kind noch „stromlinienförmiger“ hin zu biegen hat, die steigt ja täglich.
Gestern teilte mir eine weitläufige Bekannte mit, dass sie meine 11jährige Tochter deutlich zu dick findet u ich da mal einschreitet sollte. Und ich war so perplex, dass ich garnicht gleich eine passende Antwort parat hatte.
Das Problem ist einfach, das sich immer alle es besser wissen. Vor allem bei den Kindern der anderen. Grrrr….
Für meine Zwillinge brauche ich auch unbedingt zwei T-Shirts, denn Ähnliches ist mir erst kürzlich beim Elternsprechtag in der Kita widerfahren.
Meine Jungs sind erst zwei Jahre alt, zudem noch Frühchen, weshalb ich „altersvergleichende“ Entwicklungstabellen immer ignoriere. Beide essen wirklich sehr gut in der Kita, schlafen dort ohne Probleme und freuen sich jeden Morgen wenn es heißt: Wir gehen in die Kita! Der Eine ist sehr aktiv und liebt alles was rund ist und nur annähernd nach Ball aussieht. Der Andere ist ruhiger, sammelt stattdessen lieber Gänseblümchen, mag Bücher und verzieht sich auch gerne mal in eine „ruhige Ecke“. Für ihn wurde mir deshalb ein psychomotorisches Training empfohlen. Er soll mehr Selbstvertrauen bekommen, um so auch mehr Lust am Spiel in der Gruppe zu haben. Er spielt eigentlich gerne mit anderen Kindern (nur eben nicht immer), er liebt die Natur, fährt auf dem Laufrad schon freifüßig und schnuppert gerne Blumen. Ihn soll ich, nach 6 Stunden Kita, nochmals zu einer anderen Gruppe bringen um ihn dort therapieren lassen? Wozu?
So eine Empfehlung bei Sommerstart? Da sag ich nur: Raus in die Natur, mit anderen Kindern spielen, auf Bäume klettern, Feuerwanzen sammeln, Regen schmecken, in Pfützen treten, einfach nur in den blauen Himmel schauen oder was auch immer Spaß macht – das ist für mich „Psychomotorik“ falls man für natürliche Bewegungen überhaupt einen Fachausdruck braucht.
Ein Trend des „Herumoptimierens“? Das fängt schon in der Kita an und es geht in der Schule weiter. Wer nicht passt, wird passend gemacht – für jede Abweichung gibt es dazu bestimmt schon eine passende Therapie.
Aber warum soll man überhaupt an den Schwächen arbeiten wenn jedes Kind doch auch Stärken hat, die man stärken kann? Es sollte doch einfach nur Spaß daran haben, seine Potentiale zu entfalten. Heute sind es eben Monstertrucks, Bälle und Gänseblümchen – wie schön, da zeigt jemand tatsächlich Interesse für etwas und hebt sich von der Gruppe ab!
Oh Gott, du Arme! Mein Bruder hat die ersten drei Jahre auf dem Schoß meiner Mutter verbracht. Er hat die Welt erst mal drei Jahre lang beobachtet bis er mit gemacht hat. Dann wurde er Sportskanone mit 1er – Abi. Wäre aber auch okay gewesen er hätte nur Boule gespielt und ein 3er Abo gemacht. Atmen, Leute, Atmen!!
Für meine Jungs dann bitte auch jeweils ein T-Shirt (Gr. 98 bzw. 134).
Wir scheitern regelmäßig an den sehr detaillierten Vorstellungen, was die Kinder zu welcher Zeit beherrschen, und wofür sie sich interessieren sollten. Bei der Schultauglichkeitsuntersuchung wurde schriftlich vermerkt: anstelle „Haus, Baum und Papa“ wurde „eine Rakete mit Beiwagen für Oma und Opa“ gemalt…
So ein T-Shirt mit einem Space-Shuttle drauf wäre auch ein Renner bei uns…
Wer braucht auch Haus, Baum & Papa qenn man Rackete mit Beiwagen für Oma & Opa haben kann? Was für phantasielose Menschen… ich flog in der Grundschule aus dem Religionsunterricht, weil ich Jesus auf dem Ausmalbild mit pinken Umhang und grünen Punkten gemalt habe. So, wer kann denn beweisen, das Jesus nicht gerne pink mit grünen Punkten trug? Na?
Ach Mensch, das tut allein beim Lesen schon in der Seele weh. Ich verstehe gar nicht, wie alles so weit kommen konnte? Wann ist unsere Gesellschaft zu einer solchen Leistungsgesellschaft mutiert, dass Kinder nicht mal Kinder sein dürfen?
Mir stellen sich in der „Erwachsenenwelt“ ja schon die Nackenhaare auf, wenn ich sehe, wie viel nur noch auf Leistungsdruck aufbaut. Man muss im Studium/Job gut sein, als Frau am besten noch 3x so gut wie der Rest, um dann vielleicht ein bisschen (!) Anerkennung zu bekommen.
Wer nicht rund um die Uhr arbeitet, ist ein schlechter Dienstleister, wer nicht zu allen Projekten Ja und Amen sagt und am Ende noch 20% nachlässt, der kann einpacken.
What the…?! Ich frage mich schon seit ein paar Jahren, warum das die breite Masse überhaupt mitmacht. Das kann doch niemand wollen – mich kotzt dieses Hamsterrad massiv an und ich bin so mega froh, dass ich selbstständig bin und allein arbeite und meine Zeit frei einteilen kann. Ich nehme mir manchmal auch einfach Freiheiten, die sonst nicht möglich wären, aber so lange das Ergebnis stimmt ist alles im grünen Bereich (sehe ich jedenfalls so).
Als Erwachsener kann man aber wenigstens (relativ) frei entscheiden, in wieweit man das mitmachen will. Aber die armen Kinder, die einfach in diese Zwänge hineingepresst werden und noch keine eigenen Entscheidungen treffen können in dem Alter. Ein dreijähriger gehört doch nicht in 2 Sprachkurse, 2 Turnkurse und 2 Musikkurse in der Woche. Genausowenig sollte man vorschreiben, wie sich ein Kind entwickeln soll und wie schnell. Jeder hat sein eigenes Tempo und wenn man mit 3 eben die Monstertrucks liebt – so be it. Meine Fresse. Ich werde mit meinen Kindern da definitiv entspannter umgehen, wenns bei uns in ein paar Jahren losgeht. Weil’s mir stinkt! Ich will auch nicht so in Zwänge gepresst leben, ich möchte kreativ sein, ich möchte mich entfalten, schreiben, lesen und ich will arbeiten um zu leben und nicht andersherum. Und so mache ich’s auch die meiste Zeit.
Das Gleiche will ich für meine future-kids 🙂
Puh. Roman. Sorry!
Liebe Miss Creativ,
ich finde es ganz toll, das hier zu dem Thema solche Romane geschrieben werden. Und das ihr euch so echauffiert. That gives hope for change!
Gute Nacht
Lucie