Die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch denke ich, ich kriege den Zeitplan wieder ins Lot … ein klassischer Fall von totaler Selbstüberschätzung.
Kinderzimmer, 20 Uhr
Den frühen Abend auf dem Spielplatz verbracht, Sam hatte heute nicht so richtig Hunger, jetzt liegen wir auf seinem Bett, noch ein Büchlein lesen, dann ist Ruhe im Karton.
Kinderzimmer, 21 Uhr
Nix mit Ruhe im Karton. Sam ist unleidlich, müde aber kann nicht so richtig schlafen. Er legt seine Hand auf den Bauch: „Tummy ache“. Er wiederholt das wie ein Mantra. Der Kontrollfreak in mir wird ungeduldig. Der will mich doch nur auf Trab halten. Oder ist wirklich was?
Kinderzimmer, 21.30 Uhr
Es ist wirklich was: Sam kotzt! Und zwar in einer Menge und mit einem Druck, dass es mich an die Szene im Exorzisten erinnert. Das Bett, der Teppich und ich sind voll gekotzt. Sam ist treffsicher. Er hat mir in den Ausschnitt gespuckt und ich spüre wie sich die Flüssigkeit in meinem Push-up BH sammelt. Wer hätte gedacht, dass die BH-Bügel mal diese Funktion übernehmen würden? Anscheinend haben wir uns in diesem Puff von Krankenhaus auch noch einen Virus eingefangen.
Unser Schlafzimmer, 22 Uhr
Geduscht, frische Klamotten angezogen. Marc zieht Sams Bett ab und versucht den Teppich einigermaßen zu reinigen. Der Geruch von Kotze hat sein Zimmer erobert. Sam liegt völlig gerädert bei uns im Bett und schläft schnell ein. Ich nehme mir mein Notizbuch und lege mich neben ihn. Wenigsten eine grobe Struktur für den Samstagabend hätte ich gerne noch vor dem Schlafen gemacht. Ich hoffe, dass Sam morgen wieder fit ist. Noch könnte das was werden mit meinem Zeitplan.
Unser Schlafzimmer, 22.20 Uhr
Sam liegt völlig ausgeknockt auf dem Rücken neben mir. Ich komme ganz gut voran. Plötzlich zuckt er im Schlaf (Der Exorzist!) und fängt an sich zu übergeben. Ich lasse alles fallen und drehe ihn noch schnell auf die Seite. Er kotzt schlafend weiter, auf die Decke, das Kissen, mich und meine Moderationskarten…Oh nein, nicht die Moderationskarten!!
Unser Schlafzimmer, 24 Uhr
Den wimmernden Sam frisch angezogen und mich umgezogen. Duschen spare ich mir. Der Geruch von Kotze hängt mir eh fest in der Nase. Marc hat die Bettwäsche gewechselt und alles mit Handtüchern ausgelegt. Vor der Waschmaschine liegt ein riesiger Berg mit vollgekotzter Wäsche. Marc legt sich neben Sam. Ich lege mich aufs Sofa, um wenigstens ein bisschen zu schlafen.
Wohnzimmer, 3 Uhr morgens
Sam hat einen Schluck Wasser getrunken und wieder gekotzt. Die Menge, die rauskommt ist ungefähr das Zehnfache. Wie geht das, rein biologisch gesehen? Ich hätte doch Biologie im Abi nehmen sollen statt Kunst. Die Handtücher sind alle dreckig und das Bett muss noch mal frisch bezogen werden. Er liegt weinend in meinen Arm auf der Couch und hat Magenkrämpfe. Es ist gruselig. Ich wünschte, ich könnte das für ihn übernehmen. Wir rufen den Notarzt an und fragen was wir tun sollen: „Morgen zum Arzt gehen und versuchen zu schlafen“. Jetzt geht der Durchfall los.
Schlafzimmer, 7.30 Uhr
Alle gerädert, wir können kaum geradeaus schauen. Wie soll ich das mit den Moderationstexten nur machen? Und den Brief an Daniel Bahr will ich ja auch noch schreiben.
Kinderarzt, 10 Uhr
Wir haben zwei Stunden gebraucht, um überhaupt auf Betriebstemperatur zu kommen. Marc ist ins Büro getorkelt. Hoffentlich schläft er bei der Telefonkonferenz nicht ein. Jetzt sitzen wir wieder beim Kinderarzt. Mir ist ein bisschen flau im Magen. Ich bete, dass es nur die Müdigkeit ist. Sam hat keine Lust auf noch mehr Ärzte: „Große aua isse weg.“
Behandlungszimmer 11.30 Uhr
„Na, das war ja aufregend“, lautet der Kommentar von Frau Dr. Rosensteins Urlaubsvertretung zu unserer Geschichte, als ob wir im Fantasialand gewesen wären. „Das hört sich nach Noro-Virus an.“ Sie untersucht ihn und rät uns einfach nur zu Bettruhe und leichter Kost. Bettruhe für einen knapp Dreijährigen? Macht die Witze? Soll ich den festbinden?
To make a long story even longer (wie meine Freundin Polly immer sagt):
Freitag habe ich den ganzen Tag damit verbracht Wäsche zu waschen und zu trocknen (Wie haben die das vor 30 Jahren ohne Trockner gemacht? Da gab es doch auch schon Magen-Darmviren), ein halbkrankes Kind zu bespaßen und mit dem Versuch mich vorzubereiten (bei aufsteigender Übelkeit). Habe alle Termine abgesagt und eine Frisur erfunden bei der man denken könnte, der Haaransatz sei Konzept.
Ich habe im Laufe des Tages am Wäschetrockner und beim LEGO spielen innere Dialoge mit mir geführt. Ich kann Euch sagen, ich bin ein zäher Kandidat. Aber ich habe mich dazu gebracht mein Motto „my way or the highway“ etwas aufzuweichen und mich dann doch mal, wie die Buddhisten so schön sagen, dem „Fluss des Lebens“ hingegeben. Aber ganz ehrlich, wenn man in einem Kloster aufm Berg sitzt und Ziegen züchtet, ohne kotzendes Kind und Jobstress, dann hat man auch gut reden.
Freitagabend war mir dann richtig übel und ich verbrachte viel Zeit über der Toilette. Samstag hing ich voll in den Seilen. Sam ging es wieder viel besser, zum Glück war Marc da, während ich notdürftig Texte zusammenzimmerte und versuchte die Übelkeit weg zu schminken.
Ich habe keine Ahnung, wie ich den Abend überstanden habe. Ich habe auf Autopilot geschaltet. Zwischen den Moderationen war mein Besuch auf der Toilette ein fester Bestandteil des Abends. Gott sei Dank gibt es Mundspray und Magentabletten. Aber anscheinend hat niemand was gemerkt. Der Gastgeber dankte mir überschwänglich für meine „spontane und souveräne Moderation“. Ich hingegen hatte das Gefühl, dass ich mich nur an den Moderationskarten festgehalten habe. Ich wankte nach Hause und legte mich ins Bett und wurde am Sonntag um 7.00 von einem quietschfidelen Sam geweckt. Zusammen gefasst: Eine ganze normale Woche. Wenn man Kinder hat.
Tags: alles anders Mutterwürde
2 Comments
Liebe Lucie – auch ich habe gerade „Tummy ache“, weil ich seit Minuten nicht mehr aufhören kann zu lachen. Aber es gab durchaus vergleichbare Zeiten zu Euren Tagen, wo ich nach drei Wochen Krankheit meiner Kinder wortlos und völlig entkräftet auf der Bettkante saß, und mir lautlos Tränen über’s Gesicht liefen, weil ich noch nicht einmal mehr die Kraft besaß zu schluchzen. Glücklicherweise spielte sich dieses Drama nur ein einziges Mal in dieser verschärften Version ab. Denn natürlich war ich zu jener Zeit allein, weil mein Mann gerade zu dieser Zeit (und auch genau für die Dauer von drei Wochen) geschäftlich im Ausland war, und mein Vater für mehrere Monate in der alten Heimat weilte. Ja, glücklicherweise war es nur dieses eine Mal – denn ein weiteres Mal hätte ich vermutlich nicht ohne nachhaltige Schäden überlebt. Heute kann ich darüber lachen.
Schoener Blog.