Ich habe wirklich miserabel geschlafen. Ich habe mich von links nach rechts gedreht und bin mitten in der Nacht aufgeschreckt, weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass Sam geschrieen hat. Dabei schlief er seelenruhig zwischen uns – mit dem Fuß in Marcs Gesicht. Irgendwann bin ich auf die Couch umgezogen, weil ich die Männer nicht wecken wollte. Und habe mich dann dort weiter von rechts nach links gewälzt.
Heute ist unser erster Kita Tag und ich bin so aufgeregt, als hätte ich heute nicht nur meine Führerschein-Prüfung, sondern müsste danach vor 300.000 Zuschauer „Der Nußknacker“ in Wanderstiefeln tanzen und abends noch mein Abi nachholen. Es ist furchtbar. Ich leide. Kann ich heute schwänzen? Wer schreibt mir eine Entschuldigung? Biiitteee!
Gestern Abend habe ich mir zum ersten Mal das 30-seitige Handbuch der Kita durchgelesen und mir wurde schlecht. Es ist ein Regelwerk, ohne das kleinste Schlupfloch. Wir Deutschen haben zu viele Regeln? Ich schicke euch gerne mal dieses Handbuch zu, um euch vom Gegenteil zu überzeugen. Man muss die Kinder zwischen 9.00 Uhr und 9.05 Uhr abgegeben haben, es gibt eine explizite Liste der erlaubten Lebensmittel (No fizzy drinks, no nuts, another kid might be allergic) und auch der Dresscode ist bis ins Detail verankert sind (No Shoes with laces unless child can do it himself.)
Ist es die richtige Kita für Sam? Habe ich einen Fehler gemacht? Weder Marc noch ich hatten Zeit gehabt, uns die Kita vorher anzusehen. Ich habe sie im Netz (nach Empfehlung) gefunden und war wahnsinnig dankbar, in London überhaupt noch einen Platz zu ergattern. Aber jetzt fühlt es sich an wie eine Kataloghochzeit.
Und der dreiseitige „Desaster Plan“ am Ende des Regelwerks, lässt mich auch noch mal zum Abschluss kräftig schlucken. Na klar, London hat wie New York Terror Anschläge erlebt. Ich habe damals die Twin Towers in N.Y. vor meiner Nase einstürzen sehen und heute noch den Geruch in der Nase, aber mit Kind fühle ich mich plötzlich viel verletzlicher. Ich überprüfe noch mal wo die Orte der Anschläge und stelle fest, dass sie sich in unmittelbarer Nähe von Marcs neuem Arbeitsplatz befanden. Das sind alles keine schönen Gute-Nacht-Geschichten.
Während ich morgens Sams Tasche mit Wechselwäsche packe und seine Lunchbox mit regelkonformen Dingen fülle (Marc hat sich nicht nehmen lassen, morgens noch zu kochen, da es in der Kita nix Warmes gibt), sitzt Sam auf dem Kühlschrank in unserer Küche und plappert: „Mama, weißt du, Anekin ist jetzt auf die dunkle Seite die Macht und Obi-Wan is seine teacher! Und Mama, kennst du Darth Maul? Das iss swer zu spreche, aber ish kann das! Und der is eine Shurke! Und savage opress is auch eine shurke!“ Er redet ohne Punkt und Komma, zwischendrin kommt immer „Mama, ish freue mich auf meine Kita! Vielleicht ist da auch eine Ben? Oder eine Mimi? Wir wisse es nicht, Mama! Aber vielleicht!“
Wir fahren mit dem Bus. Sam ist die Vorfreude selbst. „Is darf da aba mit meine neue Freunde spiele, ja?“
In der Kita angekommen, wird die Tür tatsächlich erst um Punkt 9 Uhr geöffnet, eine deutsche Familie, die gerade aus Madrid hergezogen ist, ist auch zum ersten Mal da. „Ich habe mir ganz viele Kindergärten angesehen und das hier war mit Abstand die netteste. Die sind hier ganz bezaubernd“, erzählt mir Marisa, die Mutter und beruhigt mich damit total.
Amanda, Sams Lehrerin (hier heißen die Erzieher nämlich Lehrer) ist nicht nur tatsächlich bezaubernd, sondern auch eingefleischter Star Wars Fan. Zu Weihnachten hat sie von ihrem Mann ein Buch geschenkt bekommen, mit dem man die Sprache von Joda oder Obi wan lernen kann. Das ist ja ein interessantes Weihnachtsgeschenk, auch sie zuckt mit den Schulter: „My husband is a little crazy when it comes to Star Wars.“ Sam kriegt den Mund nicht mehr zu, als sie ihm verspricht, das Buch morgen mitzubringen. Nach 5 Minuten fragt mich Sam: „Wann gehst du denn jetzt, Mama?“ Ein galanter Rausschmiss.
Und während ich mir stande pede ein englisches Handy zulege, das ich mit aufwändigem Hin- und Rückrufen teste, um seine Funktionstüchtigkeit zu checken, damit ich auch ja „in case of emergency“ erreichbar bin, und mir auch nicht zu blöd bin, der Direktorin noch eine Email zu schreiben („Please don’t hesitate to call me if…“), scheint Sam einen Mordsspaß zu haben, denn die Antwort der Direktorin lautet: „He is having a lovely time. You really don’t have to pick him up earlier.“
Ich laufe die Gegend ab, schaue mich um, entdecke Whole Foods (meine amerikanische Lieblings-Biomarktkette), unterstütze den Londoner Einzelhandel bei ihrem Winter Sale und trinke 8 Tasen Kaffee (5 miserabel, 3 gut)
Als ich Sam abhole ist er im Glück. Und völlig erledigt. Ich auch.
Wir fahren mit dem Bus zurück, legen uns auf die Couch und er schläft sofort auf mir ein, nicht ohne mir vorher noch auf die Hose zu pinkeln. Während ich ihm die nasse Hose ausziehe, öffnet er die Augen und fragt mich verschlafen: „Mama, kennst du Darth Vader?“ Als, ich bejahe, dreht er sich zur Seite und murmelt: „Ish kenne aba mehr Star Wars Menshe als du. Und ish heiße jetzt Joda.“ Was für ein Tag!
Tags: Erziehung London Mutterwürde
6 Comments
Hört sich doch super an! Viel Glück- und manche Regeln machen ja auch Sinn 😉 hast ja ein halbes Jahr, um sie zu lernen, dann kommt einem danach Deutschland wieder seltsam vor! :-))
ohh, da hattest Du ja eine ganz ähnliche Nacht wie ich!! Schöner Beitrag und toll, dass Du die UK economy unterstützt, ich komme nächste Woche dazu;)
Ein super Einstieg ! Wünsche Euch weiterhin ganz viel Spass !
Einen lieben Gruss nach London.
Alexandra
Ihr Liebsten,…ach….man möchte Euch dauernd umarmen…. was für eine aufregende Zeit….UNGLAUBLICH, wie Sam den ersten Tag gemeistert hat!!!! VIIIIEEEL GLÜCK weiterhin!
London will love you!
Oh… Gänsehaut… Immer wieder…
Aber er scheint sich ja wohl zu fühlen und ich wünsche Euch weiterhin eine ganz tolle Zeit dort. ♥
Liebe Grüße zum Wochenende,
die Alltagsheldin
Ach, ich lese deinen Blog einfach so unglaublich gerne und freue mich sehr darüber das Abenteuer London quasi live miterleben zu dürfen. Danke dafür! !