Alles ist neu: Neue Wohnung, neues Zimmer, neues Bett, neuer Weg zur Kita, neue „teacher“, neues Essen und irgendwie auch neue Sprache. Wir haben in Berlin immer Denglish gesprochen und Sam versteht alles auf Englisch. Sprechen tut er nur, wenn er unbedingt muss oder wenn ihm das englische Wort aus irgendeinem unerfindlichen Grund besser gefällt als das deutsche. Nach dem ersten Kitatag beschäftigte Sam vor allem eine Frage: „Mama, ish verstehe nich wießo die andere Kinda nish höre?“
Ich brauche einige Fragerunden, um zu verstehen, was er meint, aber dann fällt der Groschen: Sam versteht nicht, warum er die Kinder verstehen kann, sie aber nicht ihn. Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen. Für Sam befinden sich Englisch und Deutsch in „einer Schublade.“ Es ist eine Sprache. Also, was ist los mit den anderen Kindern?
Als wir im Oktober in Österreich waren, saßen wir einmal zusammen im Schnee und Sam fragte mich: „Mama, was is „snow“?
Ich sah ihn lachend an: „Das weißt du doch, oder?“
„Ja, das is Schnee.“ Na eben.
„Aber, Mama“, hakte er nach, „was is snow für eine Wort?“
Ach so, darauf wollte er hinaus! „Snow ist das englische Wort für Schnee“, sagte ich, „das ist eine andere Sprache und wir sprechen beide Sprachen.“
Sam überlegte, dass es knirschte, bevor er dann völlig entgeistert fragte: „Ish sprech sooo? Wirklish??“
Hätte ich mich daran erinnert, dann wäre ich jetzt nicht so überrascht, dass ihm das so Kopfschmerzen bereitet. In der Nacht nach dem ersten Kitatag hat Sam 40 Fieber und redet wirr. Ich glaube, sämtliche Synapsen sind völlig überhitzt. Wir kühlen sie am nächsten Tag mit Star Wars, Pipi Langstrumpf und Gummibärchen auf dem Sofa und dann ist er wieder parat und die Synapsen wieder im Lot.
Aber ehrlich gesagt muss man generell hier in London wahnsinnig viele Sprachen zusammen kriegen. Berlin gilt ja immer als so irre international. Wir sind ja, wie London eine Stadt aus Einwanderern – aus Hessen und Schwaben.
In unserer Londoner Kita (irgendwann sage ich dann auch mal nursery, aber wenn man im Ausland ist, dann benutzt man ja plötzlich gerne die heimatlichen Begriffe) sind die Lehrer Inder, Franzosen, Engländer und Italiener. Das nenne ich gelebte diversity. In Sams Gruppe sind folgende Länder vertreten: Indien, Spanien, Japan, England und Amerika und meine absolute Lieblingsmischung ist ein Mädchen: Griechenland, Ghana, Deutschland und Spanien. Rock’n Roll!
Wenn man das einmal ein paar Tage miterlebt, dann versteht man auch, warum das 30-seitige Regelwerk, das mir so Bauchschmerzen bereitet hat, totalen Sinn macht. Es ist wie Esperanto. Es ist der Versuch, alles unter einen Hut zu bekommen. Ehrlich gesagt wäre so ein Regelwerk für den Prenzlauer Berg eventuell auch ganz sinnig sein. Dann hätten sich die oben genannten Volksgruppen vielleicht nicht so oft in den Haaren.
Allerdings erscheint dem nursery – Regelwerk eine ähnliche Erfolgsgeschichte zu blühen wie dem Esperanto: Am zweiten Tag kommen drei Mütter um 9.10 (eigentliche Abwerfzeit ist zwischen 9.00 und 9.05) mit hechelnder Zunge um die Ecke gerannt und entschuldigen sich in acht Sprachen. Außerdem tragen 4 Kinder Schuhe mit Schnürsenkeln (und die sind nicht in dem Alter, um sie selber schnüren zu können). Es gibt also doch viele Schlupflöcher. Das entspannt wiederum meine Synapsen enorm… auf zur 2. Woche in London!
You say tomato and I say tomato…. let’s NOT call the whole thing off…
Tags: Erziehung London Traditionen
2 Comments
Herrlich! Das erinnert mich daran, wie wir vor ein paar Jahren in Irland von der Fähre fuhren und der damals fünfjährige Janis verwundert bemerkte: „Komisch, jetzt sind wir in Irland, aber ich spreche immer noch Deutsch, oder, Mama?“ Dabei weiß doch jedes Kind, dass man in Irland Englisch spricht. 🙂
Euch wünsche ich weiterhin eine grandiose Zeit in London!!
Viele Grüße,
Lena
AAAAHHH, eigntlich müsste man konstant mit einem Aufnahmegerät hinter den Kleinen herlaufen. Großartig, was die alles raushauen! Diese Logik! I love it.