Gestern hatten wir die U7 Untersuchung. Seit vorgestern spürte ich eine leichte Nervosität: Was soll ich bloß anziehen? Ist 17 Uhr eine gute Zeit für eine U7? Nicht, dass Sam dann zu müde ist und rumnörgelt. Ein renitentes Kind, das plärrt und sich verweigert, wirft ja kein gutes Licht auf die Mutter.
Ich gehe extra früh schlafen, damit die Augenringe nicht ganz so dunkel sind. Am Morgen entscheide ich mich für Jeans, hochhakige Stiefel und eine Hemdbluse: Stylisch, aber nicht überkandidelt und pragmatisch genug, um als Mutter gut abzuschneiden. Ein frisches Tagesmakeup lässt mich gerade zu entspannt wirken. Aber auch nicht zu tiefenentspannt, denn wenn man gar nicht gestresst wirkt, dann kommt man ja leicht in den Verdacht, sich als Mutter nicht genug ins Zeug zu werfen. Wo gibt es denn entspannte Mütter?
Um 15 Uhr hole ich Sam von der Kita ab und merke gleich: Der ist jetzt schon so k.o., um 17 Uhr kann ich dem gerade noch Pasta und Fischstäbchen reinschieben. Lustige Türmchen baut der da auf keinen Fall mehr. Auch nicht mit seiner Lieblingskinderärztin Frau Dr. Rosenstein.
Ich entscheide mich einfach direkt zur Praxis zu gehen und so zu tun, als ob ich mich in der Uhrzeit vertan habe. Ich kann unmöglich den Termin noch mal verschieben, nachdem ich ihn zweimal vergessen habe und einmal wegen Fieber absagen musste.
Ich habe Schwein, eine andere Mutter hatte wohl ihren schlechten Tag und ihren Termin verbaselt. Wir setzen uns kurz ins Wartezimmer. Ich merke, wie die Nervosität in mir zunimmt: Kribbeln im Magen und schweißnasse Hände wie vor einer Matheklausur. Wenn man mich hier so sieht, dann könnte man wirklich vermuten, es ginge um mein Abitur. Ich versuche Sam schon mal vorzubereiten:
„Sam, Frau Dr. Rosenstein wird jetzt gleich mit dir spielen und dich einmal durchchecken. Ok? Das wird ganz lustig.“
„Was isse lustig, Mama?“
Was weiß ich?? Das Dreijährige aber auch immer alles so wörtlich nehmen muss. Keine Floskel geht einfach mehr so durch:
„Na, mit Doktor Rosenstein zu spielen.“
Sam antwortet nicht und spielt in der Legokiste: „Will in Zimma mit Dinosaurier.“
Zimmer mit Dinosaurier? Was meint er? Ich versuche es rauszufinden. Ich will ihm alles recht machen, nur damit dass hier glatt geht. Nicht das nachher in dem Heft steht: „Untersuchung bitte in 6 Monaten wiederholen.“
Ich denke fieberhaft nach. Dinosaurier … Sam wiederholt jetzt wie ein Mantra „Wille Zimma mit Dinosaurier“, während mir der Schweiß den Rücken runter läuft. „Habe da pielt mit Dino“ sagt er. Ach so! Ja, eins der Zimmer hat eine Spielzeug-Schublade mit einem Dinosaurier! An was die sich immer alles erinnern.
Ich gehe gleich zur Rezeption: „Das Zimmer mit der Spielzeug-Schublade, in dem der Dinosaurier ist, können wir da heute auch wieder rein?“ Große ungläubige Augen schauen mich an: „Frau Marshall, wovon reden Sie?“ Ich fange an, eine Erklärung vorzustottern, da werden wir von Frau Doktor Rosenstein unterbrochen: „Familie Marshall, bitte!“ Sam rennt vor, ich bete, dass wir das Dinozimmer kriegen. Wir haben Glück. Der U7-Gott ist mit uns.
Frau Doktor Rosenstein legt gleich los: „So, wir müssen uns leider sehr beeilen. Der spätere Termin wäre entspannter gewesen.“ „Tut mir leid, ich habe das TOTAL verwechselt“, lüge ich ohne rot zu werden, während ich denke: Scheiße, Zeitdruck ist bei Sam nie eine gute Idee.
Sam hat zum Glück den Dino gefunden, die Ärztin holt kleine Bauklötze raus und legt 4 Stück im Quadrat zusammen: „So, Sam dann bauen wir mal einen Parkplatz.“ Sie holt ein kleines Auto raus und stellt es auf die 4 Bauklötze. „Kannst du das auch?“, fragt sie und gibt ihm vier einzelne Klötze.
Ok, denke ich, das müsste klappen. Sam nimmt die Steine und schiebt schnell drei Klötze zusammen. Beim vierten zögert er.
„Na los, jetzt schieb den doch endlich oben dran“, denke ich ungehalten, nach außen hin sitze ich mit gefrorenen Lächeln neben ihm. Er setzt den Baustein an die falsche Ecke, ich will schon eingreifen, aber er nimmt einfach noch mal zwei, baut ein Rechteck und stellt das Auto drauf.
„Think big“, entfährt es mir und ich klatsche in die Hände, als ob Sam gerade beim Super Bowl einen Touch Down erzielt hätte.
Die Ärztin lächelt nur kurz. Vielleicht sogar etwas gezwungen? Ok, ich muss mich zusammenreißen, ich will es mir ja nicht mit ihr verscherzen. Die nächsten zwei Bauten (Brücke und Straße) absolviert Sam makellos.
Als Nächstes holt sie einen Stapel Bilder raus und zeigt sie ihm nacheinander. Zunächst einen Fisch. „Weißt du was das ist, Sam?“ Ich spüre wie meine Lippen, ohne mein Zutun das Wort „Fisch“ formen. Zum Glück ertappt mich die Ärztin nicht beim Versuch des Vorsagens.
„Das isse eine Fish. Kann nicht laufen, kann nur swimmen inne Wassa.“ Ich könnte juchzen vor Freude. Das ist doch viel mehr als verlangt! Das gibt bestimmt Extra-Punkte.
Auch bei der Katze ist Sam bestens vorbereitet: „Das isse eine Katze. Cat (Hallo? Zweisprachig!) Cat kann nicht swimmen. Habe keine Füße, habe paws.“ (Noch ein englisches Wort!). Ich bin im 7. Himmel. Ich hätte es nicht besser machen können.
Meine Wangen glühen vor Stolz, mein Herz hüpft vor Freude. Sam erzählt zu jedem Bild ungefragt eine Geschichte und ich versuche vor Stolz nicht hysterisch zu lachen. Der körperliche Check ist auch ok. Was soll man sagen: Ich habe alles richtig gemacht!
Ich habe einen extrem phantasievollen, wahrscheinlich sogar hochbegabten Sohn. Gut, das wird wahrscheinlich in der Schule nachher etwas anstrengend, Hochbegabte langweilen sich ja immer so schnell. Wahrscheinlich muss er dann extra Nachmittagsprograme machen. Schwierig wird er es natürlich, wenn er eine Klasse überspringen muss. Wegen der Freundschaften und so. Aber gut, bis dahin fällt mir schon was ein.
Wir sind mit allem durch. Bisher hat sich die Ärztin noch nicht so richtig geäußert. Ein Lob wäre jetzt ja wohl mehr als angebracht. Während ich Sam anziehe, frage ich ganz beiläufig: „Alles ok?“ Sie nickt, aber auch nicht überschwänglich und sagt dann ganz nüchtern: „Jaja, dass er noch so etwas verwaschen redet ist normal in dem Alter. Das muss sich im nächsten Jahr nur ändern. Verstehen die Erzieher in der Kita ihn denn?“
WIE BITTE? Ärger steigt in mir auf. Hat sie etwa seine phantasievollen Geschichten gar nicht verstanden? „Also, da versteht ihn jeder“ antworte ich schnippisch. Sie kritzelt etwas ins Untersuchungsheft, übergibt es mir und verabschiedet sich geistesabwesend. Ich bin konsterniert. Wo ist mein Orden? Der Blumenstrauß für besondere Mütterleistung? Das Konfetti und die Fanfaren? Kriege ich noch nicht mal ein Kompliment für mein gutes Aussehen? Ich schlage das Heft auf. Als Kommentar lese ich: „Altersgerechte Entwicklung. Alles ok.“ Ich bin geschockt.
Ich ziehe Sam schnell an und wir trotten nach Hause. Auf dem Weg kommen wir an dem kleinen Laden vorbei, der diese coole graue Handtasche mit den Nieten im Schaufenster stehen hat. Ich wehre mich seit Wochen dagegen. Aber jetzt gebe ich auf. Ich finde, die habe ich mir heute wirklich verdient.
Tags: Mutterwürde Perfektionimus
3 Comments
Während ich eigentlich meinen Mann verabschieden sollte, der für den Rest der Woche seine Dienstreise antreten muß, jappse ich nach Luft. Bin kaum in der Lage eine Erklärung abzugeben, warum mir die Worte fehlen. Unter Tränen presse ich nur: “ Sam’s U7…!“ hervor, bevor ich mich wieder vor Lachen ausschütten muß. Mein Mann drückt mir einen Kuß auf die Wange, und ich meine sowas wie: „Ach so…“ zu hören.
Liebes Pünktchen, es ist mir eine wahre Freude, Dir morgens auf diese Weise die Luft zu nehmen! Danke für Deine Kommentare! 🙂
[…] Es gibt kein noch so scheinbar langweiliges Thema, mit dem Lucie mir nicht den Tag erhellt. Ob Sams U7 (die mehr zu ihrer wurde), Lucies Perfektionismus und Ordnungswahn (für den Sam der beste […]