Im Moment ist bei uns soviel los, dass Marc und ich es manchmal kaum schaffen, uns in Ruhe zu unterhalten. Wenn er spät abends nach Hause kommt, dann ist mein Hirn bereits abgeschaltet. Ich bin sowieso meistens ab 17.45 Uhr bettfertig und warte nur sehnsüchtig darauf, dass Sam endlich müde wird und mich ins Bett bringt.
Telefonate ab 20 Uhr sind nur im Notfall drin. Das Aneinanderreihen von Wörtern, die auch noch in der richtigen Reihenfolge stehen, ist dann nur noch mit Alkohol und unmenschlicher Anstrengung machbar.
Dafür liegen wir morgens gerne lange im Bett, wenn keiner von uns frühe Termine hat, trinken Kaffee und synchronisieren unseren Alltag: Was steht an, wer übernimmt Sam wann, hast du an den Geburtstag von xy gedacht (natürlich nicht), wie lief das Meeting und warte mal, wer bist du noch mal und wie geht’s dir eigentlich?
Normalerweise liegt Sam eingekuschelt zwischen uns, döst und nuckelt an seiner „Milli“. Er braucht morgens immer eine Ewigkeit, um in die Gänge zu kommen. (Hat er von seinem Vater … petz) Erst mal in Ruhe Milch trinken, Buch angucken und dann nach 30 Minuten ist Monsieur ansprechbar. Gestern setzte er sich schon nach 5 Minuten plötzlich auf, hob seine Flasche und sagte: „Will auch was sage.“
Wir schauten ihn erstaunt an. Und dann legte er los:
„Habe mit Koeege (Kollege) gestern troffe, hat gut gemacht, habe Kuche backen, Zucker, Zimt und Mehl, war eine Cinamom Roll, dann habe ich in office gange und gepielt und Gummibärchen esse, dann habe in sea Life big Muräne sehen und andere Kinder sag: „Geh weh, will auch sehe“ (Bitte dramatischen Gesichtsausdruck und eindeutige Handbewegung vorstellen). Und da habe ein seahorse sehe mit Babyseahorse, habe mehr gummibärchen esse. Dann habe meine book mit Wale funden (Sam sucht nie was, er findet immer nur. Das muss man sich merken) und mit Papa angesseet. Dann habe fishfingers esse und Pommes und dann habe nicht schlafe. Dann habe gepielt und Elmo see.“
Nach seinem Monolog legte er sich zufrieden wieder hin und nuckelte sehr stolz weiter.
So lange am Stück hat Sam noch nie eine Rede gehalten. Das war ja fast druckreif! Marc und ich waren total baff. Mir tropften fast die Tränen der Rührung in den Kaffee. Da denkt man, der kleine Mann liegt morgens halb komatös wie ein Baby an der Flasche nuckelnd neben einem, dabei speichert er jedes Wort ab und dann kriegt man das ein paar Wochen später präsentiert.
Andererseits hört Sam sich an wie ein durchgedrehter Stand-up Comedien. Hören wir uns wirklich auch so an? Das ist, als ob man eine Parlamentsdebatte reduziert auf eine Abfolge von verrückten Schlagwörter: „Änderung des Steuergesetz abgelehnt, Brüderle nicht mehr grabschen, Angie bitte zum Friseur, Syrien wird vertagt. Fazit: Es ändert sich nichts.“
Oder betrachtet er unser Gespräch als eine Art „Hülle“, die man beliebig mit Inhalt füllen kann? Ich werde mal meinen Bekannten Günther anrufen, der hat Germanistik studiert. Er hat zwar nur 3 Semester durchgehalten bevor er beim Pizzalieferservice angefangen hat, aber wenn ich mich recht entsinne, dann wollte er seine (nie geschriebene) Doktorarbeit über die Kommunikationsformen der alten Griechen schreiben. Vielelicht kann er mir helfen, Sam’s Monolog einzuordnen? Ich bin auf jeden Fall etwas verwirrt.
P.S.
Der Morgen hat aber auch gezeigt: Aufpassen was du sagst, Lucie! Nicht mehr über Nachbarn herziehen, keine bissigen Kommentare über die Erzieher in der Kita und deine Wortwahl, Lucie!! Bitte!!
Tags: Erziehung Leben Vorbild
6 Comments
Mir können keine Tränen der Rührung in den Milchkaffee tropfen – der ist schon leer getrunken, aber dafür schmilzt mein Herz dahin, wenn ich von Sams Rede lese. Seufz, einfach himmlisch!
:-)) Ja, der kleine Mann hats raus!
haha, großartig 😀
Ich finde, er trifft’s ganz gut – was anderes machen „wir Erwachsenen“ auch nicht 😀
Naja gut, sea life müssen wir eventuell durch „Büro“ ersetzen, aber die dortigen Kontakte sind auch nicht anders als … ihr wisst schon 😉
Du meinst „Geh mir aus de Weg!“ mit dramatischer Handbewegung?? :-))
Ohja, das und vor allem:
Arbeiten ist auch nicht anders, als ein Zoobesuch *hust* 😀
Einerseits ist es total beeindruckend, was er alles mitkriegt, abspeichert und dann auch noch umstrukturiert, andererseits kann ich mir auch gut vorstellen, wie dir sofort 17 Dinge eingefallen sind, die du im Nachhinein dann doch lieber nicht gesagt hättest 😉
Ich wünsch dir ein schönes Wochenende!
xo Zoe