„Mama, bringst du mir Zuhause mit?“, bittet mich Sam, als ich ihn frage, was ich ihm noch mitbringen soll, wenn ich kurz nach Hause fahre. Wir sind erst seit 2 Tagen im Krankenhaus, aber er hat schon einen leichten Koller. Und ich auch.
Die OP ist bestens verlaufen. Ich hatte ziemlich Schiss vor dem Moment der „Übergabe“ an der Schleuse zum OP. Würde Sam so schlimm weinen wie am Tag zuvor, als es zunächst hieß, dass er alleine in den Röntgenraum soll? Ich malte mir schon die schlimmsten Horrorszenen aus.
Auf dem Weg zur Schleuse liegt er schon in seinem Bett, eskortiert von Marc und mir. Ich halte seine Hand und immer wieder fragt er mit tränenerstickter Stimme: „Mama, erzähl mir nochmal!“ Und ich wiederhole gebetsmühlenartig, wie er jetzt gleich von dem Beruhigungscocktail schlafen wird, wie er nicht spüren wird, dass er eine Nadel in die Hand bekommt, weil er ja schon das Zauberpflaster auf die Hand geklebt bekommen hat. Wie der Schlafarzt ihn gleich entgegennehmen wird, wie er einfach weiterschlafen wird und gar nichts spüren wird und wie er mich als Erste sehen wird, wenn er wieder aufwacht. Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen bittet er: „Erzähl nochmal, Mama, ja?“ und ich fange wieder von vorne an.
Zum Glück waren der wenige Schlaf der letzten Tage und der Beruhigungscocktail, den Kinder vor einer OP bekommen, eine so gute Mischung, dass er bei unserer Ankunft an der Schleuse tief und fest schlief und der Narkosearzt uns nachher erzählte, er hätte beim Umbetten laut geschnarcht.
Krankenhäuser sind wie ein ganz eigenes Universum weit außerhalb des Alltags. Der Rhythmus von Visite und Essenszeiten zieht einen sofort in seinen Bann. Um einen herum sieht und hört man Lebensgeschichten und Schicksale, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen und auf die Frage warum wir hier sind, trau ich mich kaum mit so etwas Banalem wie einem Armbruch zu kommen. Es ist wie ein Crashkurs in Sachen Demut und Dankbarkeit.
Ich habe das Virchow Krankenhaus seit Sams Geburt aufrichtig gehasst. Es lief so unendlich viel falsch an diesem Tag und ich hatte ganz eindeutig alle Arschlöcher abbekommen, die dort arbeiteten. Aber dieses Mal ist es das genaue Gegenteil. Wie eine Wiedergutmachung scheinen alle ganz besonders freundlich, ganz besonders entgegenkommend zu sein und auf jede Frage wird mir bis ins kleinste Detail liebevoll geantwortet. Manchmal bin ich schon versucht, die Eifrigen zu bremsen: „Okay, okay! Wirklich, es ist okay. Mein Groll ist praktisch komplett verflogen, ehrlich!“
Als Sam in den Aufwachraum geschoben werden soll, ist auf der Kinderchirurgie kein Platz mehr frei und so kommt er in den Aufwachraum der Gynäkologie. Moment mal, das kenne ich doch hier. Und warte mal, ist der Platz, an dem jetzt Sams Bett steht, nicht sogar der identische Platz, wo ich vor über 5 Jahren gelegen habe? Dort ist das Fenster, aus dem ich in den dunklen Novemberhimmel gesehen habe. „Das ist doch der Platz, an dem dein Bett stand?“, sagt Marc erstaunt, als er in den Aufwachraum kommt.
Ja, you always meet twice in life und man kriegt immer noch mal die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln. Und während ich meinem Sohn beim Aufwachen zuschaue, schließe ich endlich Frieden mit diesem Erlebnis vor über 5 Jahren und mit diesem Krankenhaus. Denn was soll sein? Egal was und warum damals alles schief gelaufen ist, das ist vorbei und vergangen – heute und jetzt habe ich einen vor Gesundheit und Energie strotzenden Sohn. Der so gesund ist, dass er sich einen Arm brechen konnte.
Gestern sind wir entlassen worden. Nach drei Tagen, die sich zwar unendlich lang anfühlten, mich aber gleichzeitig vor unserer Gesundheit und unserem Leben in tiefer Demut und Dankbarkeit verbeugen lässt. Wir kuscheln uns mit Coldpack auf die Couch, essen Chips und schauen „Curious George“. Ich habe zwar immer noch keine Ahnung, wie und wann ich mein zweites Buch schreiben soll, aber angesicht der Tatsache, wie schnell sich das Leben für einen ganz andere, neue Wege überlegen kann, gehe ich das Ganze gelassen an.
Happy monday und danke, danke, danke für alle eure guten Wünsche! Sie haben ganz uns geholfen und sehr sehr gut getan!
Tags: Dankbarkeit Leben Liebe
11 Comments
Gute Besserung an Sam!
Danke für Dein Post…Weiterhin gute Besserung für den tapferen Sam.
Boah die Schleuse…musst ich schon 2x mit Marius erleben. Ich hatte jedesmal voll den Heulkrampf-Flash danach.
Ich bin auch dankbar, das wir eine gesunde Familie sind und die Krankenhäuser ohne Komplikationen wieder schnell verlassen konnten.
Hugs S.
Liebe Sandra, oh Gott, das kann ich so gut nachfühlen. Aber wie schön, das ihr auch schnell wieder Zuhause wart! Lieben Gruß Lucie
Ja die blöde Schleuse…ich habe so geweint, nachdem ich unseren 4-Monate alten MiniFlo abgegeben habe. Ich wünsche Sam ganz schnell gute Besserung, dass er bald wieder herumflitzen kann. Und dafür, dass Du für Sam da bist, warte ich auch gerne noch ein paaar Tage länger auf das neue Buch.
LG Verena
Liebe Verena,
4 Monate… uaaaahhh…. wie furchtbar! Aber danke für Deine Geduld!
Lieben Gruß
Lucie
Jetzt hab ich Tränen in den Augen. Ich fühlte mich dem Ort plötzlich auch wieder ganz nah und war auch dankbar beim Lesen deiner Worte. Nur anders. Dankbar, dass wir gerade nicht da sein müssen. Ich hoffe, dass es euch schnell besser geht. Und ja, man trifft sich immer zweimal im Leben und bekommt immer die Möglichkeit, seinen Frieden mit den Dingen zu schließen. Aber eines möchte ich dir und allen anderen Müttern sagen: Wenn man mit seinen Kindern leidet, ist nichts banal. Es gibt kein schlimmer oder besser. Es ist dein Kind und dein Herz, das sich in dem Moment zusammenzieht. Du hast genauso das Recht auf Angst und Sorgen und Kopfkinoszenarien, wie andere, die eben nicht wegen eines gebrochenen Armes da sind. Natürlich gibt es Schicksale, die bedrohlicher sind. Aber deine Sorgen und Ängste in jenem Moment verdienen es nicht, als banal bezeichnet zu werden. Für dich, für euch, ist das in dem Augenblick furchtbar schlimm. Ich hoffe du weißt, wie ich das meine.
Ich schicke euch viele sonnige Gedanken! Fühlt euch umarmt!
Weiterhin Gute Besserung an Sam und dieses Gefühl an der Schleuse kenne ich. Es ist nicht schön. Und wie vorher kommentiert wurde, kann ich mich nur anschließen, banal ist das nicht, wenn Du mit Deinem Kind leidest. Das ist ein ganz normales Gefühl.
Lieb Jessika,
Danke Dir! Ja, ich weiß was du meinst und damit hast Du auch recht. Und doch ist es auch sehr heilsam, wenn alles in die richtige Perspektive gerückt wird.
Lieben Gruß
Lucie
Gut, dass ihr es geschafft habt. Gott sei Dank mussten meine Mädels noch nicht durch die Schleuse, aber ich musste als Kind ein paar Mal da durch…habe ich noch die furchtbarsten Erinnerungen dran, obwohl es bei jedem Mal besser wurde….Lg, Anne
Liebe Anne,
Ich finde selbst als Erwachsener ist es kein schönes gefühl dadurch egschobene zu werden. Und als Kind… ach, ich mag es mir gar nicht vorstellen!
Danke für Deine guten Wünsche!
Lucie
Puuuuh…. Und ja, Schock-Momente holen einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und lassen einen wieder das Glück des Lebens neu genießen.
„…so gesund, dass er sich einen Arm brechen konnte“