Während ich völlig beseelt davon bin, mein erstes Buch in den Händen zu halten, hat Sam ganz andere Themen auf dem Tablett: Einer seiner engster Nachbarsfreunde zieht aus Berlin weg.
Luis ist so alt wie Sam, sie kennen sich seit sie krabbeln können. Zusammen mit dem Nachbarsjungen Jessaja bilden die beiden ein höchst explosives Trio. Drei ist ja eigentlich selten ein gute Kombi, aber bei ihnen scheint es die richtige Mischung zu sein. Und wenn man sie beim Spielen beobachtet, dann kriegen wir Mütter Schnappatmung bei der Vorstellung, dass die auch mit 16 noch zu dritt unterwegs sind.
Und jetzt zieht Luis weg. Ich habe es Sam vor einer Woche gesagt. Da hatte ich den Eindruck, ich hätte auch „RhabarberRhaberaberRhabarber“ sagen können. Er nahm es zur Kenntnis und wechselte das Thema. Luis wiederum ist wahnsinnig aufgeregt, findet es superspannend und kann es kaum erwarten umzuziehen. Es ist wie ein großes Abenteuer. „Der wird sich wundern, wenn er ankommt und keinen einzigen Freund hat“, murmelt seine Mutter.
Tja, welche Reaktion von den Kindern hatten wir eigentlich erwartet? Für Kinder ist ja die Zukunft wie ein Gedicht auf Mandarin – verheißungsvoll aber total unverständlich. Und wie sollen sie auch einschätzen, was ein Umzug bedeutet? Vielleicht kann Sam es noch am besten nachfühlen mit seinem London – Zwischenstoppp. Aber vielleicht auch nicht. Wir sind ja zurückgekommen.
Gestern Morgen sitzen wir beim Frühstück und Sam sagt: „Mama, Luis geht nicht mehr in seine nursery!“
„Ich weiß“, sage ich, „er zieht ja um. Er geht dann in einen neuen Kindergarten.“
„Aber Mama“, versucht es Sam nochmal und reißt die Augen dramatisch auf, „er geht da NIE mehr hin!“ „Ja“, versuche ich erneut, „er zieht ja weg von hier.“
Entsetzen macht sich breit auf Sams Gesicht. „Aber Mama, wann kommt er denn wieder?“
Jetzt ist es angekommen. Ich kann förmlich sehen, wie sich der Boden unter Sam öffnet.
„Er kommt vielleicht zu Besuch“, versuche ich den Sturz abzufedern, „und wir können ihn natürlich auch besuchen“. Aber es hilft nichts. Er sitzt vor seinem Marmeladenbrot und die großen Krokodilstränen rollen über seine Wangen.
„Mama“, schluchzt er, „aber dann kann ich ja gar nicht mehr meine Freund sehen!“
Ich heule sofort mit. Warum müssen wir denn auch alle solche Nomaden sein?
Er sitzt auf meinem Schoß und wischt sich seine Rotznase und die Marmeladenschnute an meiner Bluse ab. Das Einzige was hilft, ist das Planen unseres ersten Besuches. „Ish will aber three sleeps bei Luis slafen!“, sagt er.
So schön diese Veränderungen sind – als Hippie mit Hummeln im Hintern weiß ich wovon ich spreche – manchmal ist auch ganz schön, wenn mal keiner auf gepackten Kisten sitzt.
Tags: Liebe Mütter
3 Comments
Mein Sohn musste vor 2 Jahren seinen Freund in einer anderen Stadt zurück lassen. Er spricht heute noch von ihm. Aber auch vor 30 Jahren sind schon Menschen umgezogen. Meine Freundin zum Beispiel. Nur zwei Stadtteile weiter, aber gesehen haben wir uns danach trotzdem jahrelang nicht (heute sind wir wieder ganz dicke 🙂 Irgendwann ist man glücklicherweise alt genug, zu den wirklich wichtigen Menschen selbstständig den Kontakt zu halten, wenn man es denn wirklich will. Ein kleiner Trost, finde ich!
Herzliche Grüße, Cathrin
Liebe Cathrin,
das stimmt total. Und man darf ja auch nicht vergessen, dass die Welt dadurch immer ein bisschen größer wird.
Lieben Gruß und danke für Deinen Trost, Lucie
Wir sind umgezogen, als unsere Tochter in die 4. Klasse kam. Und obwohl die Entfernung über 500 km war, blieben die Beiden in Kontakt und sehen sich in unregelmäßigen Abständen. Meine Tochter wird nächsten Monat 25 aber Jule ist immer noch DIE Freundin, mit der sie über alles reden kann und auch für mich ist sie immer noch wie eine 2. Tochter. Aber leider ist das für Sam und seine Freunde leider kein Trost. Ich wünsche Luis, dass er schnell neue Freunde findet. Das ist ja das Tolle bei Kindern, dass sie offen, vorbehaltlos und neugierig auf andere Kinder zugehen.