‚MAAAMAAAA’ gellt es in meinen Ohren. Dann höre ich den Schrei ein zweites Mal und ich realisiere: Das ist nicht Daniel Craig am Strand aus meinem Traum (ich war auch echt beleidigt, dass der mich Mama nennt), das ist Sam aus dem Kinderzimmer. Draußen ist es stockdunkel, ich schaue auf die Uhr neben meinem Bett: 4.07 Uhr. Oh Fuck, bitte nicht…
Sam war noch nie ein guter Schläfer. Seine erste durchgeschlafene Nacht hat er mit 15 Monaten absolviert. Da waren Marc und ich bereits am Rande des Wahnsinns. Das Glück währte jedoch nicht lange: In der Zeit danach war er gerne von 3.30 bis ca. 5 Uhr wach. Diese Nächte waren der absolute Alptraum. Und die Tage nach solchen Nächten einfach nur grausam. Seit er zwei Jahre alt ist hat sich das sehr gebessert. Ganz selten kommt eine dieser Horrornächte noch mal vor. Ist es jetzt wieder soweit?
Ich schlurfe in sein Zimmer. „Was ist denn, Sam?“ Er sitzt in seinem Bettchen: „Muss Pipi.“ Nachts trägt er noch Windeln und ehrlich gesagt wünschte ich auch, dass er sie benutzen würde. Aus irgendeinem Grund setze ich mich auch um 4.07 Uhr dem Streß aus pädagogisch wertvoll mit ihm umzugehen und sage: „Super, das du Bescheid sagst. Dann lass uns ganz schnell aufs Klo gehen und dann wieder schlafen.“ Bestimmt dankt er mir das gleich und schläft ganz schnell wieder ein.
Pipi auf dem Töpfchen ist gemacht, frische Windel angezogen. Ich lege ihn ins Bett und will wieder raus gehen. „Mama meine simmer slafe.“ Na gut, meinetwegen. Ich lege mich neben ihn auf die Kuschelmatratze. Das ist zwar nur leidlich bequem, weil Sam mittlerweile einfach sehr groß ist, aber was soll’s. Ich kann mich ja wegschleichen, sobald er eingeschlafen ist. Wir liegen da. Es ist Ruhe. Ich sinke bereits wieder in den Schlaf …an den Strand …“Will Mimi“ (Milch) plärrt Sam mir ins Ohr und steht auf:„Große Mimi, warme Mimi“. Er ist bereits auf dem Weg zur Küche. Es ist grundsätzlich aussichtslos mit ihm zu diskutieren, erst recht aber um 4.25 Uhr. Darum schleiche ich schlaftrunken hinter ihm in die Küche und versuche möglichst schnell das Fläschchen zu machen – ohne Licht.
Zurück im Bett. Er nuckelt glücklich an der Flasche. Ich bin schon wieder fast eingeschlafen. Es könnte klappen. Herrlich. „Mama“, gluckst Sam, „ish habe gar kei eyebrow“ und lacht vor sich hin.
Wie kommt der denn jetzt da drauf??? „Doch hast Du“, sage ich, nehme seinen Zeigefinger und führe ihn über seine Augenbraue. „So, und jetzt wird geschlafen! Es ist mitten in der Nacht.“ Sam dreht sich zur Seite. Das sieht gut aus. Jetzt fangen allerdings meine Gedanken an zu rotieren: „Habe ich eigentlich von Lekker Strom die Antwort auf meinen Brief bekommen? Die schulden uns doch noch 56 Euro. Wann muss ich morgen noch mal aufstehen? Ich brauche dringend Klobürsten von IKEA.“
Jetzt bin ich wach. Es ist zum Kotzen. Ich habe das Gefühl, dass ich Sam mit meinen Gedanken vom Einschlafen abhalte und lege mich verkehrt herum ins Bett. Sam ist aber eh weit davon entfernt zu schlafen: „Mama, wo isse green Alou?“ (Alou sind seine Schnuller, keine Ahnung warum er die so nennt)
Mittlerweile ist es 5.10 Uhr. Bei mir setzen langsam hämmernde Kopfschmerzen ein. Noch versuche ich mich zusammen zu reißen: „Ich habe keine Ahnung und ehrlich gesagt ist mir das auch egal. Ich bin hundemüde. Es wird jetzt geschlafen!!!“ Das war die falsche Antwort. Sam ist sofort von 0 auf 100:“ Will green alouuuuu“, brüllt er hysterisch und will aufstehen, um das Licht anzumachen. Ich halte ihn fest. Die Kopfschmerzen sind mittlerweile unerträglich. Und ich bin so unglaublich müde und mit meiner Geduld am Ende.
Das sind die Momente in denen ich denke: Verflucht, man hätte auch Hunde haben können. Ich fauche ihn an: „Hör mal, ich zähle jetzt bis drei und dann hörst du auf zu schreien und legst dich wieder hin. Wir suchen morgen früh Deine Alous.“ Ich fange an zu zählen. Das ist völlig müßig, weil Sam so laut brüllt, dass er mich eh nicht hört. Ich gebe bei zweieinhalb auf. Es hilft ja nichts. Ich bin in dieser Konstellation nun mal der Generalsekretär der UN-Familie, ich muss schlichten. So muss sich Kofi Annan während seiner Dienstzeit gefühlt haben. Ich schalte das kleine Licht an, und habe Glück: Der greene Alou liegt neben dem Bett. Sam ist jetzt so übermüdet, dass ihm im Anschluss noch einfällt dass sein Popo aua ist, er noch mehr Mimi braucht und eigentlich ein Buch lesen will. Wir sind beide am Ende.
Es ist 5.59 Uhr. Ich nehme ihn in den Arm, halte ihn ganz fest. Er wehrt sich kurz und gibt dann aber nach. Nach zwei Minuten ist er im Tiefschlaf. Ich fühle mich wie vom Lastwagen überfahren. Aber ich bleibe trotzdem neben ihm liegen. Wie schaffen diese kleinen Dinger das? Vor zwei Minuten habe ich ihn noch verflucht. Jetzt schläft er so selig in meinem Arm und ich könnte ihn abknutschen. Ich weiß, dass ich morgen 100 % einen steifen Nacken haben werde. Aber ich bleibe liege.
Tags: Erziehung Mutterwürde
5 Comments
Oh diese Nächte kenne ich nur zu gut. Bei uns heisst es „Solange es draußen dunkel ist, wird geschlafen bzw. sich ausgeruht“. Zumindest jetzt, wo die Nächte tendenziell länger werden, setzen wir auf diese Methode. Da gibt es weder neue Kuscheltiere zum Spielen (bzw. Schlafen), noch was zu trinken oder essen und auch kein Schlaflicht o.Ä.
Ha! Unser Kind hat mit knapp 16 Monaten das erste Mal durchgeschlafen. Das ist e´jetzt 3 Wochen her. Seitdem nicht mehr. Ewig wachbleiben nachts kennen wir zwar von ihm nicht, aber dafür 3-4 mal wach werden 🙁 Es wird aber langsam besser. Viel Erfolg für weitere Nächte 😉
Nur ein Alou reicht ja auch hinten und vorne nicht. Wir haben für Bruno gleich mal 8 „Nunnis“ griffbereit am Fuße des Kinderbetts, damit beim rausziehen, wegschmeissen und danach losbrüllen nur minimal Zeit mit Suchen verschwendet wird, und gleich das „Mäulchen“ wieder gestopft ist.
Nicht das man dadurch jedoch besser schlafen würde…. allein der Stresslevel in den Aufwachphasen ist nicht mehr so groß.
Hahahahahaha, das ist wirklich sehr, sehr witzig und vor allem grandios geschrieben!!! Bin durch einen alten Freund aus Berlin auf Deinen Blog gestoßen und sehr begeistert. In den letzten 14 Jahren meiner Mutterschaft (3 Kinder, 14, 7 und 4) wollte ich schon hundertmal genau so ein Projekt anstoßen, habe es aber nie geschafft und hätte es ehrlich gesagt wahrscheinlich auch nie so gut hinbekommen. Finde Dein Buch absolut unterstützenswert und freue mich schon auf meine Frühstückstasse! Ich schreibe jetzt einen Blog zu einem anderen Thema, das leider nicht so lustig ist, versuche aber, trotzdem den Humor nicht zu verlieren. Dabei helfen mir die zwei Wahnsinnigen, die noch einige Jahre unter meinem Dach leben werden, vor allem die Vierjährige, die trotz aller Heul-, Bettel, Droh- und Bestechungsversuche nach wie vor nachts nicht schläft. Bin aktuell auch schon wieder seit Stunden wach und TURBO genervt… DIr viel Erfolg und liebe, unbekannte Grüße!
Liebe Anja, danke sehr für Deinen Kommentar und Deine Unterstützung beim Buch! Ich bin auf Deinem Blog gewesen. Hold the flag high!!!! Ich schicke Dir viele gute Gedanken & ganz viel Kraft.
Deine Lucie